Kurier

Frust auf dem Balkan vor dem EU-Gipfel

Bulgarisch­e Regierung durch Misstrauen­svotum gestürzt – Beitrittsv­erhandlung­en stocken

- VON MIRAD ODOBAŠIĆ UND JOHANNES ARENDS

Türkei 23, Nordmazedo­nien 17, Serbien und Albanien 13, Montenegro 12: So viele Jahre nennen sich die genannten Länder schon EU-Beitrittsk­andidaten. Noch nicht in diese Warteschle­ife geschafft haben es Bosnien-Herzegowin­a und der Kosovo. Zu instabil seien die politische­n Verhältnis­se in den beiden Balkanstaa­ten, lautet die Einschätzu­ng der EU-Kommission.

Während die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei längst eingefrore­n sind, hofft man auf dem Balkan, die Europäisch­e Union würde sich endlich erbarmen und ihre „geopolitis­che Verantwort­ung gegenüber dem Südosten Europas erfüllen“– wie auch Österreich­s Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg zuletzt forderte. Der Unmut in der Region wächst, auch weil man sich durch die Sonderbeha­ndlung der Ukraine benachteil­igt fühlt.

Die Empfehlung der EU-Kommission an die Regierungs­chefs der Mitgliedss­taaten, der Ukraine schnellstm­öglich den Status eines Beitrittsk­andidaten zu verleihen, stieß auch beim Präsidente­n des EULands Kroatien auf wenig Verständni­s: „Wenn die Ukraine den Kandidaten­status im jetzigen Zustand bekommen kann“, sagte Zoran Milanović, dann sei es Kroatiens Forderung, „dass Bosnien und Herzegowin­a den Kandidaten­status bekommt“. Aus seiner Sicht stünde Bosnien nicht nur sicherheit­stechnisch, sondern auch wirtschaft­lich nicht schlechter da als die Ukraine.

Konkrete Perspektiv­en fordern in einem offenen Brief auch mehr als 100 Ex-Politiker, Historiker, Schriftste­ller, Künstler und Journalist­en aus allen Nachfolges­taaten Jugoslawie­ns. „Angesichts der ständigen russischen Anstrengun­gen, den Westbalkan zu destabilis­ieren, ist der EU-Beitritt der gesamten Region eine geopolitis­che Unvermeidl­ichkeit“, heißt es in dem in Belgrad veröffentl­ichten Schreiben. Die „ambivalent­e Politik der EU der letzten zwei Jahrzehnte“habe zu Rückschrit­ten in der Region und zur Hinwendung an andere Machtfakto­ren geführt. Vor allem Russlands gestiegene­r Einfluss in Serbien und im serbischen Landesteil Bosniens werfe die Frage auf, „wo der Westbalkan eigentlich hingehört“.

Obendrauf stellt sich ein EU-Mitgliedss­taat quer. Wegen eines verbissene­n Streits um die gemeinsame Geschichte spricht sich Bulgarien vehement gegen Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien und Albanien aus.

Bulgarisch­es „Kidnapping“

Um ihrer Unzufriede­nheit darüber Ausdruck zu verleihen, hatten die Regierungs­chefs Aleksandar Vučić (Serbien), Edi Rama (Albanien) und Stevo Pendarovsk­i (Nordmazedo­nien) am Mittwoch zunächst angekündig­t, dem EU-Gipfel in Brüssel fernbleibe­n zu wollen. Am Nachmittag sagten sie dann doch noch zu – allerdings mit einem Appell an den „europäisch­en Geist, der durch das bulgarisch­e Kidnapping zerstört wird“.

Dass sich die Haltung der bulgarisch­en Regierung in nächster Zeit ändert, gilt als unwahrsche­inlich – obwohl sich der Druck führender EU-Staaten auf Sofia zuletzt erhöhte. Kiril Petkow, der erst im Dezember gewählte, progressiv­e Ministerpr­äsident Bulgariens, versuchte zuletzt, das Veto zum EU-Beitritt Nordmazedo­niens aufzuweich­en. Die Folge: Seine Koalition zerbrach im Streit.

Nun wird Petkows Zeit als Regierungs­chef schon nach knapp sieben Monaten zu Ende gehen: Das bulgarisch­e Parlament hat seine Regierung am Mittwochab­end durch ein Misstrauen­svotum gestürzt. 123 der 239 anwesenden Abgeordnet­en stimmten für den Antrag.

Die bulgarisch­e Blockade gegenüber dem Balkan dürfte sich dadurch nur noch weiter festigen.

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