Impfpflicht: Nie „scharf“, jetzt endgültig abgeschafft
Regierung sieht zu wenig Effekt und zu viel Polarisierung
Die Impfpflicht sei unter anderen Voraussetzungen eingeführt worden, als sie heute gegeben seien, begann Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sein Statement, an dessen Ende die Verkündung des Endes der Impfpflicht stand. Er habe deren Einführung (in Kraft trat sie Anfang Februar, damals war noch Wolfgang Mückstein Gesundheitsminister) seinerzeit selbst befürwortet – aber die Corona-Variante Omikron habe die Lage verändert; insbesondere in den Spitälern sei die Situation deutlich entspannter.
Vor allem zwei Argumente brachten Rauch und ÖVP-Klubobmann August Wöginger, die gestern gemeinsam vor die Medien traten, für die Entscheidung der Regierung vor: dass die Impfpflicht nicht den erwünschten Effekt gebracht und dass sie zur Polarisierung der Gesellschaft geführt habe.
Die Impfpflicht hindere manche Menschen sogar, sich impfen zu lassen, weil sie sagten: das lasse ich mir nicht vorschreiben, meinte Rauch. Die Bereitschaft zur Impfung könne nur auf Freiwilligkeit basieren, so die aktuelle Erkenntnis des Ministers. Und Wöginger räumte ein: „Wir haben keinen Menschen zusätzlich zum Impfen gebracht.“
Aber auch die gesellschaftlichen Verwerfungen, welche das Thema Impfen bzw. Impfpflicht ausgelöst habe, wurden angesprochen. Bis hin zum Mittagstisch sei die Polarisierung gegangen, meinte Wöginger. Und Rauch mahnte mit Blick auf die krisenhafte Gesamtlage: „Wir brauchen jeden Millimeter Solidarität und Zusammenhalt.“Daher gelte es nun, Gräben wieder zuzuschütten.
Ein Antrag zur Abschaffung wurde am Donnerstag in der Sondersitzung des Nationalrats eingebracht, im Juli soll die Beschlussfassung erfolgen. Wirklich gegolten hat die Impfpflicht ohnedies nie: Auf Empfehlung einer von der Regierung eingerichteten Expertenkommission wurde sie Anfang März – kurz, bevor Verstöße gegen die Impfpflicht auch bestraft werden sollten – zunächst bis Juni ausgesetzt; Ende Mai wurde diese Regelung bis Ende August verlängert.
„Hätten wir das gebraucht“
Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter meinte gegenüber dem KURIER, er könne mit der Abschaffung gut leben – aber „die Frage ist, hätten wir das überhaupt gebraucht“. Er habe schon im November, als eine generelle Impfpflicht angekündigt wurde, diese Entscheidung nicht für plausibel gehalten.
Allerdings könnte die Abschaffung zum jetzigen Zeitpunkt, angesichts wieder steigender Zahlen, ein problematisches Signal sein. Die Gefahr bestehe zudem, dass damit die Impfung an sich in Misskredit gebracht werde.
Hutter trat auch der Argumentation Rauchs entgegen, wonach Omikron die Regeln verändert habe. Für Ungeschützte (nicht geimpft und auch nicht genesen) sei Omikron genauso oder fast so gefährlich wie frühere Varianten. Dass die Omikron-Phase milder verlaufen sei, liege eben daran, dass viele Menschen geimpft und/oder genesen waren.
War kein „großer Heuler“
Zustimmung zur Abschaffung bereits vor der Pressekonferenz von Rauch und Wöginger kam vom Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). „Ich werde mich nicht dagegen wehren. Das war nicht unsere Idee in Wien, wir haben es mitgetragen“, sagte er, und: „Der große Heuler war es nicht.“Da die Impfpflicht offensichtlich „zu negativer Emotion zum Impfen“geführt habe, sei „es wahrscheinlich gescheiter, die Impfpflicht abzuschaffen“. Wöginger begrüßte dann in der Pressekonferenz ausdrücklich diese Stellungnahme Hackers.
„Ab sofort“abgeschafft wird die Impfpflicht im niederösterreichischen Landesdienst. „Für mich standen immer die Aufklärung und ein gutes Angebot an positiven Impfanreizen im Vordergrund“, meinte Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ). Die Bundesregierung sei nun aufgefordert, eine gute Kampagne für den Herbst gemeinsam mit den Ländern auf den Weg zu bringen. „Denn nach wie vor gilt, dass die Impfung ein guter Schutz vor schweren Krankheitsverläufen ist.“