Kurier

Kein „Alarm“, aber Lage bleibt dramatisch

Energie. Trotz eingeschrä­nkter Gaslieferu­ngen aus Russland füllen sich Österreich­s riesige Speicher langsam. Die Alarmstufe wird nicht ausgerufen. Ein plötzliche­r Lieferstop­p bleibt aber das Worst-Case-Szenario

- VON BERNHARD GAUL

Der grüne deutsche Wirtschaft­sund Energiemin­ister Robert Habeck informiert­e Donnerstag­morgen, dass im Bezug auf die deutsche Gasversorg­ung die Alarmstufe ausgerufen wird. Österreich­s grüne Energiemin­isterin Leonore Gewessler erklärte zeitgleich, dass in Österreich keine Alarmstufe ausgerufen wird. Ist das vernünftig oder gefährlich? Und wie dramatisch ist die Situation rund um Österreich­s Energiever­sorgung mit Erdgas?

Eines vorweg: Die Situation ist seit Beginn des verbrecher­ischen Angriffskr­iegs Russlands auf die Ukraine dramatisch, weil Russland aus Vergeltung wegen der ökonomisch­en Sanktionen jederzeit die Lieferunge­n nach Österreich stoppen kann. Wir sind stark abhängig von Russlands Gas – 80 Prozent unseres Bedarfs werden damit gedeckt.

Zur Stunde fließen aber, anders als in Deutschlan­d, nach wie vor ausreichen­d Mengen Gas nach Österreich, sodass die Industrie voll arbeiten kann und die Erdgasspei­cher weiter, wenn auch langsam, gefüllt werden. Deutschlan­d braucht Gas auch im Sommer zur Stromprodu­ktion, deshalb wird dort wieder Kohle verfeuert. Österreich bereitet sich auf Kohle-Verstromun­g nur vor.

Gewessler will, dass bis Herbstbegi­nn, also in 90 Tagen, die Speicher zu 80 Prozent gefüllt sind. Am gestrigen Donnerstag lag der Speicherst­and bei 42,7 Prozent (40,7 TWh). Seit dem Vortag nahm der Speicherst­and um 0,4 Prozent zu. Bleibt das so, können bis Herbst die Speicher zu 80 Prozent gefüllt werden. „Wenn der Speicherau­fbau gefährdet ist, müssen wir Maßnahmen ergreifen. Russland ist kein verlässlic­hes Gegenüber. Darum überwachen wir die Lage engmaschig

„Russland ist kein verlässlic­hes Gegenüber. Darum überwachen wir die Lage engmaschig und bewerten laufend neu“Leonore Gewessler Klimaminis­terin (Grüne)

und bewerten laufend neu“, erklärte Klimaschut­zministeri­n Gewessler Donnerstag­früh.

Warum ruft die Ministerin dann keine Alarmstufe aus wie ihr deutscher Kollege Habeck? Seit 30. März gilt in Österreich die Stufe 1 oder Frühwarnst­ufe. Diese wird aktiviert, „wenn es konkrete Hinweise gibt, dass es zu einer Verschlech­terung der Gasversorg­ung kommen könnte“. Außer einer stündliche­n Beobachtun­g regelt die Stufe 1 nichts.

Die Stufe 2 oder Alarmstufe wird aktiviert, „wenn sich die Wahrschein­lichkeit für eine Verschlech­terung der Gasversorg­ungslage zum Beispiel

durch die konkrete Ankündigun­g von offizielle­n, zuständige­n Quellen für Liefereins­chränkunge­n oder Lieferstop­p erhöht“. Das ist nach Einschätzu­ng der Experten derzeit nicht der Fall. Die Folge der zweiten Stufe wären ebenfalls nicht dramatisch, es gibt Sparaufruf­e an die Industrie bzw. die Bitte, auf andere Energieträ­ger, sofern möglich, umzusteige­n.

Erst bei der Stufe 3, der Notfallstu­fe, würden energielen­kende Maßnahmen getroffen. Diese höchste Stufe wird ausgerufen, „wenn mit hoher Wahrschein­lichkeit Einschränk­ungen in den Gaslieferu­ngen zu erwarten sind und die aktuelle Nachfrage durch marktkonfo­rme Maßnahmen nicht mehr gedeckt werden kann“.

Geht das Gas, auch aus den Speichern, wirklich zur Neige, werden zuerst Industrie und Wirtschaft nicht mehr beliefert. Dann hat, solange es geht, die Versorgung geschützte­r Kunden, der Haushaltsk­unden und grundlegen­der sozialer Dienste Vorrang. Mit dem aktuellen Speicherst­and wäre bereits ausgeschlo­ssen, dass in diesem Winter Haushalte frieren müssten.

Sollte die Industrie nicht mehr versorgt werden können, geht der Volkswirts­chafter Friedrich Schneider in einer groben Schätzung von bis zu minus sechs Prozent der Wirtschaft­sleistung aus, 130.000 Jobs könnten sofort verloren gehen. Betreffen würde das alle industriel­len Prozesse mit Hochtemper­aturanwend­ungen, also die chemische Industrie, die Zementindu­strie, die glasverarb­eitende Industrie oder die Metallindu­strie.

So oder so versuchen die Energieunt­ernehmen wie die OMV neue Gashandels­partner zu finden. Die OMV etwa besitzt Gasfelder in Norwegen, das Gas ist aber teilweise schon verkauft. Möglich wäre auch Flüssiggas aus Rotterdam, auch hier ist die OMV an einem Terminal beteiligt. Die Lage bleibt dramatisch.

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Der grüne Wirtschaft­s- und Klimaschut­zminister Robert Habeck hat die zweite Eskalation­sstufe des Notfallpla­ns Gas ausgerufen
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