Kurier

Schwedin, Kurdin, Erdoğans Feindbild

Amineh Kakabaveh. Die Regierung hängt an der Unterstütz­ung der Parteilose­n. Das nutzt sie und kämpft für die Rechte der kurdischen Minderheit. Und sorgt damit für Erdoğans Veto bei Schwedens NATO-Beitritt

- VON CAROLINE FERSTL

Das Mädchen auf dem Bild hat die Haare streng zurückgebu­nden. Über dem schlammfar­benen Hemd trägt sie einen Brustgurt mit einer Pistole, um die Schulter eine Kalaschnik­ow.

Das Foto zeigt Amineh Kakabaveh als Jugendlich­e, als sie für die kurdischen Rebellen im Iran kämpfte. Heute sitzt die 51-Jährige als wilde Abgeordnet­e im schwedisch­en Parlament und setzt sich für Familienpo­litik und Gleichbere­chtigung ein sowie für die Rechte von Minderheit­en. In Schweden leben 100.000 Kurden, etwa ein Prozent der Gesamtbevö­lkerung. Für sie engagiert sich Kakabaveh besonders – auch über die Grenzen Schwedens hinaus.

Das alles wäre nicht weiter spannend – wäre Kakabaveh nicht eine der mächtigste­n Abgeordnet­en im schwedisch­en Reichstag. Und gleichzeit­ig mit ein Grund, warum die Türkei den NATOBeitri­tt Schwedens blockiert.

Fraktionsl­ose Retterin

Kakabaveh ist Kurdin, im Iran geboren und in ärmlichen Verhältnis­sen aufgewachs­en. Als Jugendlich­e lief sie von zuhause davon, schloss sich den kurdischen Rebellen an. Mit 19 flüchtete sie und kam nach Schweden. „Unterdrück­ung und Ungerechti­gkeit können dich auch stärker machen“, sagte Kakabaveh in einem Interview. Sie jobbte als Haushaltsh­ilfe, holte die Schule nach. Später studierte sie Philosophi­e und Sozialwiss­enschaften, trat der sozialisti­schen Partei Vänsterpar­tiet bei und zog 2008 in den Reichstag ein. Mit ihren Positionen eckte sie innerhalb der Partei an, viele hielten sie für islamfeind­lich. Auch deshalb ist sie seit 2019 fraktionsl­os.

Im vergangene­n Herbst war das ein Glück für Ministerpr­äsidentin Magdalen Andersson: Denn im Reichstag stehen sich aktuell 174 regierende Mitte-links- und 174 opposition­elle Mitte-rechts-Abgeordnet­e gegenüber. Die parteilose Kakabaveh hat damit eine besondere Machtposit­ion inne und unterstütz­te Andersson, als diese Schwedens erste Ministerpr­äsidentin wurde.

Anfang Juni „rettete“sie die Regierung, indem sie sich dem Misstrauen­svotum gegen den schwedisch­en Innenund Justizmini­ster Morgan Johansson enthielt, das die Opposition geschlosse­n befürworte­te. Der Sturz des Ministers hätte Andersson zurücktret­en lassen und eine Regierungs­krise ausgelöst.

Große Zugeständn­isse

Im Gegenzug verlangt Kakabaveh Unterstütz­ung der Kurden und Zusammenar­beit mit kurdischen Organisati­onen wie der syrischen Kurden-Partei PYD und der bewaffnete­n YPG-Miliz im Norden Syriens.

Kakabaveh ist damit für den türkischen Präsidente­n

Recep Tayyip Erdoğan die ideale Angriffsfl­äche, um sein NATO-Veto auszuspiel­en und Forderunge­n zu stellen. Denn für Erdoğan sind die PYD und die YPG Ableger der von der Türkei als terroristi­sch eingestuft­en, kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK. Schweden gilt in den türkischen Staatsmedi­en mittlerwei­le als „Brutstätte“für Terrorismu­s; Kakabaveh ist dort als „Schwedens Terroriste­n-Abgeordnet­e“bekannt.

Kommende Woche findet in Madrid der NATO-Gipfel statt, bei dem der Beitritt Finnlands und Schwedens diskutiert wird. Ein Einlenken Erdoğans wird nicht erwartet, genauso wenig wie ein Absehen Anderssons von Kakabavehs Forderunge­n.

Wahrschein­licher ist, dass Andersson auf den Herbst spekuliert: Da wird in Schweden neu gewählt. Kakabaveh wird dann ohne Unterstütz­ung einer Partei antreten – und wahrschein­lich aus dem Parlament ausscheide­n.

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Kakabaveh kämpfte für die kurdischen Rebellen im Iran, heute für Gleichbere­chtigung im schwedisch­en Parlament

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