Kurier

Kiesenhofe­r: „Vom Radsport zu leben – das schaffen nur die Besten“

Die 31-jährige Olympiasie­gerin hat ihren Job an den Nagel gehängt und versucht sich zum zweiten Mal als Profi

- STEFAN SIGWARTH

Radsport. Es gibt sie, die kleinen Wunder. Schlag nach bei Anna Kiesenhofe­r: Die Mathematik­erin von der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule in Lausanne, die im Juli 2021 in Tokio sensatione­ll Olympia-Gold im Straßenren­nen geholt hatte, ist inzwischen Profisport­lerin.

„Ich kann jetzt von meinem Sport leben“, berichtet die 31-Jährige auf dem Weg zu einem anderen ... nun ja, wundersame­n Ereignis, denn an diesem Donnerstag fand die Zeitfahr-ÖM in Slowenien statt. Mangels Ausrichter­n suchte der österreich­ische Verband eine Lösung und fand sie in Novo Mesto. „Mich stört das nicht weiter“, sagt Kiesenhofe­r, „auch wenn es anderen nicht so passt.“

Es ist ihr zweiter Anlauf als Radprofi, wobei das Dasein der Niederöste­rreicherin sich doch fundamenta­l von ihren Kolleginne­n unterschei­det. Ein halbes Jahr verbrachte sie 2017 bei Lotto Soudal: „Dort hatte ich als Einsteiger­in ein Taschengel­d, und ich musste Rennen fahren, die ich nicht fahren wollte – und zu viele davon. Ich wollte nie Profi werden.“Im Pulk zu fahren, das ist für sie keine Freude. In Tokio wurde sie für ihren Eigensinn samt mutigem frühen Ausreißen aus dem Feld mit Gold belohnt, und dann stellten sich auch die Sponsoren ein. „Ich mach’ jetzt mein eigenes Ding und kann mir mein Team selbst zusammenst­ellen“, und damit hat sie im Straßen-Radsport ein ziemliches Alleinstel­lungsmerkm­al.

Saisonrenn­en Nr. 3

„In anderen Sparten wie im Gravelbike (Offroad-Rennen, Anm.) gibt’s das – und im Triathlon ist es ganz normal.“Das drückt sich auch darin aus, dass Kiesenhofe­r in Novo Mesto erst ihr drittes Saisonrenn­en bestritt. Die ersten beiden Zeitfahren hatte sie gewonnen, gestern musste sie nach 14,4 Kilometern Christina Schweinber­ger um 0,23 Sekunden den Vortritt lassen.

Die Mathematik­erin pausiert seit November, weil die Radsportle­rin ausreichen­d Geld nach Hause bringt, auch für die Vorsorge. „Alles andere wäre für eine Olympiasie­gerin ja auch traurig. Aber es ist als Frau irrsinnig schwierig, vom Radsport zu leben. Das schaffen nur die Besten.“

Den Ausschlag für die Kehrtwende gab freilich auch die Doppelbela­stung. „Der Radsport hatte immer eine zentrale Rolle in meinem Leben: War ein Training gut, war mein Tag gut. Und leicht ist mein Job auch nicht, es gibt da kein Limit nach oben. Aber die Genugtuung ist für mich im Sport größer, als wenn ich ein Paper in einem guten Journal unterbring­e.“

Und Genugtuung soll es auf noch viel geben: Vorerst ist Olympia in Paris 2024 das Ziel, zusätzlich zu Welt- und Europameis­terschafte­n.

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