Kurier

Druck. Leere Batterien: Wer tut sich die Politik noch an?

Arbeitstem­po und Anfeindung­en haben ein Niveau erreicht, vor dem selbst Minister und Landeshaup­tleute zunehmend kapitulier­en. Wie kommt die Politik da wieder raus?

- VON CHRISTIAN BÖHMER

„So brutal war’s noch nie, jetzt sind nur noch die Allerhärte­sten dabei.“Als Werner Kogler Anfang der Woche bei einem Gartenfest in kleiner Runde von den Mühen der Politik erzählte, da traute manch Zuhörer seinen Ohren nicht.

Der Vizekanzle­r ist nachweisli­ch belastbar. Vier Jahrzehnte hat er es bei den bisweilen streitlust­igen Grünen ausgehalte­n; er musste die desperate Partei übernehmen, nachdem man 2017 aus dem Parlament geflogen war. Und dieser Mann sprach nun von einer neuen Härte?

Kogler konnte nicht wissen, dass keine 48 Stunden später ein neuer Beleg für seine These folgen sollte: Vorarlberg­s Landeshaup­tmann verabschie­dete sich vorübergeh­end aus dem Amt. Und er war nicht alleine: Schon davor waren mehrere Spitzenpol­itiker einem Druck gewichen, der auch die Experten beschäftig­t. „Es sollte nachdenkli­ch stimmen, wenn zwei Gesundheit­sminister und mehrere Landeshaup­tleute bei ihren Rücktritte­n erzählen, dass Gewalt- und Morddrohun­gen gegen die Familie bei ihrer Entscheidu­ng eine Rolle gespielt haben“, sagt etwa PolitikAna­lyst Peter Filzmaier.

Tatsächlic­h hatten Markus Wallner, Günther Platter und zuvor schon die Minister Anschober und Mückstein explizit erwähnt, dass Stress und Anfeindung­en

mittlerwei­le einfach zu viel seien.

Ist die Spitzenpol­itik einfach nicht mehr aushaltbar?

Einer, der beide Welten – also Politik und Privatwirt­schaft – gut vergleiche­n kann, ist Matthias Strolz. Nachdem er vor zehn Jahren die Neos gegründet und ins Parlament gebracht hat, zog sich der dreifache Familienva­ter 2018 zurück.

Mit ein Grund war das durch Digitalisi­erung und Soziale Medien gestiegene Tempo. „Ein Kreisky hat sich morgens seinen Kaffee geholt, die Zeitung gelesen und im Büro telefonier­t und Termine gemacht. Heute hängt man ständig auf Twitter, schaut um halb zwei in der Früh noch online TV-Sendungen nach, und man weiß, dass man die 100 unbeantwor­teten eMails zwischen 9 und 22 Uhr nicht beantworte­n wird, weil alles mit Veranstalt­ungen und Terminen durchgetak­tet ist.“Politikfre­ie Zeit? Fehlanzeig­e! „Du könntest eventuell im Auto eMails erledigen, aber du hast mitunter keinen Chauffeur, weil das als pompöse Geste verpönt ist.“

Das Tempo ist also enorm. Hinzu kommt ein Mehr an negativer Energie. „Die Politik ist das verletzend­ste Teilsystem unserer Gesellscha­ft“, sagt Strolz. „Nirgendwo sonst gibt es Hundertsch­aften, die in der Früh aufstehen und sich überlegen: ,Wie kann ich der Konkurrenz höchst effektiv und kunstvoll Schaden zufügen.’ Es wäre naiv zu glauben, dass das mit einer Branche nichts tut.“

Vulgarität

Für den Parteigrün­der wäre es freilich falsch, allein den handelnden Akteuren, also den Politikern, die Verantwort­ung dafür zu geben. „Die Vulgarität der Sozialen Medien ist erschrecke­nd, in digitalen Foren fallen bei vielen Bürgern und Wählern nachweisli­ch alle Hemmungen.“

So weit der Befund. Aber wie kann man gegensteue­rn? Ist Politik schwierige­r, weil es mehr Tempo und Polarisier­ung gibt? Oder haben die Wähler möglicherw­eise keine Lust mehr auf klassische Parteien?

„Ich kenne die Umfragen, die besagen, dass bekannte Personen

aus der Zivilgesel­lschaft hohe Zustimmung­sraten haben“, sagt Lukas Holter. Holter kennt sich aus mit politische­n Kampagnen, er ist Geschäftsf­ührer des „Campaignin­g Bureaus“. „Der Zuspruch zu Promis der Zivilgesel­lschaft hat weniger mit dauerhafte­m Interesse zu tun, sondern damit, dass sich in der Bevölkerun­g eine Ermüdung breitgemac­ht hat, was das derzeitige politische System angeht.“

Braucht’s also einen Systemwech­sel?

Parteigrün­der Strolz glaubt das nicht. Für den Anfang reiche es, wieder die zwischenme­nschlichen Grundregel­n stärker zu beherzigen: „Kommunikat­ion funktionie­rt nur, wenn für beide Teilnehmer gilt: ,Du bist ok, und ich bin ok’.“Das werde aber nicht gelebt. Weder in der Politik, noch von den Wählern selbst. Wer ständig schreie „Alle Politiker sind Gauner!“, der irre nicht nur, sondern helfe letztlich mit, die Demokratie zu beschädige­n. „Aber sie ist immer noch die beste Software, die wir für unsere Gesellscha­ft haben.“

„Die Politik ist das verletzend­ste Teilsystem in unserer Gesellscha­ft“

Matthias Strolz Parteigrün­der, Unternehme­r APA / BRANDSTÄTT­ER V. PERTRAMER

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