Ein Kraftwerk erwacht aus dem Tiefschlaf
Rundgang durch Mellach. 2020 stillgelegt, soll das mit Steinkohle befeuerte Kraftwerk im Winter fehlende Gaslieferungen ausgleichen. Es ist das Letzte seiner Art in Österreich
Die letzte Kohle verschwand erst vor ein paar Monaten. „Sie ist verkauft und mit Lkw weggebracht worden“, schildert Peter Probst, während er durch das Gelände führt. Gelagert war die Steinkohle direkt vor dem Fernheizkraftwerk im Freien, heute klafft dort nur noch eine leere Fläche. „Wenn wir die Kohle jetzt noch hätten“, sinniert Probst, gelernter Schlossermeister, seit rund 20 Jahren in dem Verbund-Kraftwerk südlich von Graz im Einsatz.
Ja, wenn diese Kohle noch da wäre. Dann – und wenn alle logistischen Vorarbeiten erledigt sind – könnte das Kraftwerk Mellach in der Gemeinde Fernitz-Mellach binnen zehn Stunden „bis zur Volllast“hochfahren, schildert Werksgruppenleiter Christof Kurzmann-Friedl. „Das Lager muss nicht voll sein, wir können mit einer Tonne beginnen.“
Eine grüne Wiese
Mellach, am 31. März 2020 zum letzten Mal in Betrieb, sollte eigentlich 2024 oder 2025 rückgebaut werden. „Zu einer grünen Wiese, da wären die Bagger gekommen“, beschreibt Kurzmann-Friedl.
Es ist das letzte Steinkohlekraftwerk Österreichs mit einer Leistung von bis zu 225 Megawatt, ein Monument einer Technologie, die politisch wegen seiner Umweltbelastung – Stichwort CO2Ausstoß – als veraltet angesehen wird. Gas, das war die sauberere Zukunft: Am Standort in der Steiermark nahm der Verbund 2012 das mit 830 Megawatt leistungsstärkste Gaskraftwerk des Landes direkt neben dem kohlebefeuerten Exemplar in Betrieb. Doch dann griff Russland die Ukraine an, das Gas fließt nicht mehr wie bisher in den Westen. So kommt das Kohlekraftwerk wieder ins Spiel und – falls nötig – tatsächlich auch ans Netz, so kündigte es die Bundesregierung vor einer Woche an.
Das Werk ist darauf ausgelegt, beinahe alle Grazer Haushalte zu beheizen. „Es substituiert 80 Prozent des Fernwärmebedarfs in Graz“, beschreibt Kurzmann-Friedl. „Das Gas, das dafür nicht gebraucht wird, geht in den Speicher. Oder versorgt direkt Wien.“Auch Strom wird in dem Werk erzeugt.
Schwarzer Staubzucker
„Wir haben das Glück, dass dieses Asset überhaupt noch besteht“, sagt der Werksgruppenleiter. Mellach ist das Letzte seiner Art, das Steinkohle-Kraftwerk in Dürnrohr – doppelt so groß wie sein
steirisches Pendant – wird gerade demontiert. In Mellach wurde bisher nur der Ascheturm entfernt, alles andere ist noch da. Zuweilen auch der Kohlestaub: Wer sich beim Rundgang mit Peter Probst über das Förderband – hinauf (14 Prozent Steigung) und retour in das Geschoß 13 Meter unter der Erde – am Geländer festhält, hat schwarze Finger.
Die Steinkohle – 1.200 Tonnen pro Tag im Vollbetrieb – muss nämlich gemahlen werden, damit sie verfeuert werden kann. So fein wie Staubzucker, vergleicht Probst, nur eben schwarz, nicht weiß.
Von 1986 an war das Werk am Netz. Es halft Graz und Umgebung, dem damals im Winter vorherrschenden Smog zu entkommen, verursacht durch die vielen privaten Holz- und Kohleheizungen. „Es ist 1986 derart überausgestattet worden, dass es heute noch up to date ist“, beschreibt Kurzmann-Friedl und klingt ein bisschen stolz. Bei der Stromerzeugung liege der Wirkungsgrad bei 41 Prozent, der weltweite Durchschnitt in Steinkohlekraftwerken nur bei 20 Prozent.
Vier Monte Vorlauf braucht der Verbund, um Mellach von der Technik hochzufahren. „Wir brauchen jetzt schnelle Entscheidungen“, mahnt KurzmannFriedl in Richtung Politik. Denn Steinkohle muss gekauft, die Gerätschaft überprüft, längst abmontierte Anschlüsse wieder eingebaut, zusätzlich zur bestehenden Mannschaft benötigtes Personal angeheuert werden. „Ich war ja nie so fürs Zusperren“, merkt Peter Probst an. „Wenn wir das jetzt so schnell wieder zusammenbringen, ist das echt Hardcore.“