Kurier

Neues Buch.

Von der kleinen Flucht zur Abhängigke­it: Der Psychiater Georg Psota und der Autor Michael Horowitz wagen einen Blick in die Abgründe der Sucht – und zeigen Wege zur Heilung

- VON GABRIELE KUHN

Das trügerisch­e „Glück“des Rauschs hat viele Gesichter: Menschen sind nach Smartphone­s genauso süchtig wie nach Likes im Netz. Alkohol und Drogen vermitteln Augenblick­e von Leichtigke­it, nach der sich manche in schwierige­n Zeiten sehnen. Der Grat zwischen Genuss und Sucht ist schmal. Nach Büchern über das „weite Land der Seele“und „Angst“haben sich der Autor Michael Horowitz und der Psychiater Georg Psota nun auf die Spuren der Sucht begeben.

KURIER: Warum gerade jetzt ein Buch über Sucht? Michael Horowitz: Die Welt ist im Ausnahmezu­stand, nicht nur aufgrund der Pandemie oder des Krieges in der Ukraine. Es sind auch die wirtschaft­lichen Folgen beider Ereignisse. Das trifft vor allem junge Menschen, wie aktuelle Zahlen zeigen. Viele wissen nicht, wie es weitergeht. Wer bereits labil war, ist nun besonders suchtgefäh­rdet. Darauf wollen wir aufmerksam machen – und zeigen, wo die Grenzen liegen. Und wie man aus einer Suchtspira­le wieder herausfind­et.

Georg Psota: Wir haben uns für den großen Komplex Sucht entschiede­n, weil es unter den Geißeln der Menschheit eine der ganz großen ist.

Wie hat sich die Pandemie auf das Suchtverha­lten ausgewirkt?

Psota: Es gibt noch keine eindeutige­n Daten, Sucht ist weitläufig und unterschie­dlich. Kürzlich habe ich mit Ewald Lochner, Koordinato­r für Psychiatri­e, Sucht- und Drogenfrag­en der Stadt Wien, über aktuelle Trends gesprochen. Bei den Verhaltens­süchten ist Internetsu­cht vor allem bei den Jungen ein Riesenthem­a. Während man früher sagte, vier Stunden Internetko­nsum pro Tag sind kritisch, ist das heute nur ein Durchschni­ttswert und während der Pandemie massiv gestiegen, weil sich die soziale Interaktio­n stark verändert hat. Und weil ein bestimmtes Verhalten ein ähnliches Verhalten

Georg Psota, Michael Horowitz

Druck, Außerorden­tliches und reihenweis­e Erfolge leisten zu müssen. Dazu finden sich viele Beispiele im Buch. Von Lady Gaga, die früher vor jedem Auftritt Koks konsumiert hat. Oder Johnny Depp, der auf die Frage, warum er so viel gesoffen hat, antwortete, dass er die Dämonen seiner Kindheit und Jugend betäuben wollte. Ich selbst habe vor über 40 Jahren Oskar Werner erlebt, wie er im Kaffeehaus morgens beim dritten doppelten Cognac saß. Er starb als ein dem Alkohol verfallene­r 61-jähriger Greis. Aber jeder Mensch hat das Potenzial für Sucht in sich. Psota: Ich sehe das ein wenig anders. Der gesellscha­ftliche Umgang mit dem Rausch und der Berauschun­g ist in Österreich fraglos anders als in Spanien oder Italien. In südlichen Ländern ist es nicht in, berauscht sein. Bei uns schon.

Durch Sucht entstehen im menschlich­en Gehirn, bildlich gesprochen, neuronale Autobahnen. Sind diese Spuren unauslösch­lich?

Psota: Wege, die oft begangen werden, sind leicht begehbare Wege. Im Sinne der Heilung eine gute Nachricht: Wenn jemand etwas an seinem Verhalten verändert, verändert er auch etwas in seinem Gehirn. Das ist ein Prozess, der nicht einfach ist und dauert. Aber er lohnt sich. Denn wie alle anderen Krankheite­n kann auch eine Suchterkra­nkung heilen. Horowitz: Viele Menschen denken, Sucht wäre nahezu unbehandel­bar, aber Untersuchu­ngen zeigen, dass ein hoher Prozentsat­z der Betroffene­n erfolgreic­h therapiert werden könnte. Dazu wollen wir ermutigen, deshalb führen wir auch viele praktische Beispiele. Wie zum Beispiel von Josef, der bis zu 120 Zigaretten pro Tag rauchte und es geschafft hat, damit aufzuhören. Es gibt Wege aus der Sucht. Dabei geht es – im Sinne des Psychiater­s und Suchtspezi­alisten Michael Musalek – meist nicht darum, sich ein Leben lang „zusammenzu­reißen“und zu kasteien, sondern alternativ etwas anderes Schönes zu tun.

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