Mit Vollgas in die Krise
Angenommen, die grüne Energieministerin Leonore Gewessler hätte mit Amtsantritt im Jänner 2020 verkündet, dass die 80-prozentige Abhängigkeit von Russlands Erdgasexporten gefährlich sei, und sie die Energiefirmen anweise, teureres, nicht-russisches Erdgas auf den europäischen Märkten zu kaufen – man hätte ihr wohl unterstellt, Österreich und den Bürgern sinnloserweise massiv zu schaden.
So richtig es gewesen wäre, eine echte Option hat das nie dargestellt. Zwei Jahre später bekommen wir jetzt die Rechnung präsentiert, in Form von Preiserhöhungen von zweihundert Prozent und mehr. Da Energieträger wie Erdgas so vielseitig sind, ist eben nicht nur der Gaspreis in die Höhe geschnellt, sondern mit ihnen auch der Strompreis und der Ölpreis und der Lebensmittelpreis und so weiter. Alles eine direkte Folge des verbrecherischen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine.
Und dennoch scheint Gewessler heute deutlich entspannter zu agieren als ihr deutscher Amtskollege Robert Habeck. Der Grüne ist inzwischen der mit Abstand beliebteste Politiker Deutschlands. Er hat das nicht geschafft, indem er irgendetwas schönredet oder die deutschen Bürger mit lieben Floskeln einlullt, sondern weil er die dramatische Situation unverblümt offenlegt, die Bürger zum Energieund Gassparen aufruft und den Sommerbeginn mit mahnenden Worten einläutet: „Der nächste Winter kommt bestimmt“.
Gewessler und Österreich können tatsächlich etwas entspannter an die Sache herangehen.
Zum einen, weil unser Strommix längst zu einem immer höher werdenden Teil aus erneuerbaren Quellen wie Wasser, Wind und Sonne stammt. Deutschland hingegen kann den Strommarkt nur aufrecht erhalten, weil in deren Strommix 20 Prozent Braunkohle, 10 Prozent Steinkohle und 10 Prozent Gaskraft (und 13 Prozent Kernkraft) stecken.
Zum anderen, weil Deutschland nur ein Viertel seines Gas-Jahresbedarfs einspeichern kann, also auf tägliche Lieferungen angewiesen ist. Österreich hingegen kann als eines von wenigen EU-Ländern mehr als hundert Prozent des Jahresbedarfs einspeichern. Das hat historische Gründe: Österreich war eines der ersten Länder, die 1968 Gaslieferverträge mit der damaligen Sowjetunion abschließen konnte und dann eine breite Infrastruktur aufgebaut hat. Russland lieferte immer verlässlich, auch als die Sowjetunion implodierte und Panzer in Moskau auffuhren. Die geltenden Verträge der OMV mit Russland bis 2040 wurden 2018 lange nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 unterzeichnet.
Einen politischen Aufschrei, dass die Verträge mit Russland kurzsichtig und unmoralisch seien, gab es nicht. Vielmehr Applaus, dessen Echo heute verstörend wirkt.
Die Tatsache, dass wir bei einem Gaslieferstopp in einer vergleichsweise besseren Situation als Deutschland sind, tröstet kaum.