Kurier

Ein türkiser Minister als rotes Tuch

Finanzmini­ster Magnus Brunner ist bei der SPÖ derzeit Persona non grata: Man fühlt sich „hintergang­en“. Brunner selbst will alles „nüchtern betrachten“. Was sich in den vergangene­n Tagen zutrug, darüber ist man uneins

- VON AGNES PREUSSER UND CHRISTOPH SCHWARZ

Einer der Orte, an denen man einen türkisen Finanzmini­ster vielleicht am wenigsten erwarten würde, ist die Küche eines Start-ups im Herzen des traditione­ll roten Arbeiterbe­zirks Favoriten. Genau dort traf man Magnus Brunner diese Woche aber an – im Zuge eines Betriebsbe­suchs mit Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer und dessen mutmaßlich­em Kronprinze­n, dem Nationalra­tsabgeordn­eten Nico Marchetti.

Brunner gab sich betont bodenständ­ig, zeigte sich von Felix Urbanek, der im Jahr 2017 als 21-Jähriger das Unternehme­n Rex Eat (bietet Mittagesse­n im Glas) gegründet hat, beeindruck­t, stellte Nachfragen, scherzte und platzierte an jenen Stellen, die ihn besonders erstaunten, Sätze wie „Na servas, G’schäft!“

Mit dieser Hemdsärmel­igkeit ist Brunner nicht nur die Antithese zu Vorgänger Gernot Blümel – wohl auch, weil Letzterer lieber über Philosophi­e sprach als über die Tücken von roHemtem Chili auf weißen den –, er ist damit auch ein Problem für die Wiener SPÖ. Das dürfte Brunner in vollen Zügen auskosten.

Der Betriebsbe­such in Favoriten ist der erste in Wien seit er im Amt ist. Man mache diese Besuche, wenn „sie gut in den Terminkale­nder passen“, erklärt ein Sprecher. Aber kann es wirklich ein Zufall sein, dass Brunner nur Tage nach den Vorfällen rund um die Wien Energie in Favoriten scherzt, während die SPÖ im Rathaus noch immer um Fassung ringt?

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Kommt die Sprache auf das Thema, hört man bei ÖVP und SPÖ komplett unterschie­dliche Geschichte­n. Die von Brunner ist betont staatsmänn­isch. Dass die ÖVP die Situation ausgenutzt oder es sich um einen Spin gehandelt habe, um der Wiener SPÖ zu schaden, weist er im KURIERGesp­räch zurück. „Die Dramatik ist nicht von uns gekommen, sie kam von den Experten“, sagt er. Im Vordergrun­d sei die Frage gestanden: „Wie können wir helfen?“

Ein Wort fällt in Brunners Erzählunge­n besonders oft: nüchtern. Man wolle die Vorgänge „nüchtern betrachten“, alles „nüchtern analysiere­n“. Während Mahrer „die Emotionali­tät und Nervosität der

SPÖ nicht versteht“, kann Brunner „die Aufgeregth­eit ein bisschen nachvollzi­ehen“. Der Subtext: Während sich die SPÖ in den Emotionen verliert, will sich die ÖVP auf die Fakten konzentrie­ren.

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Bei der SPÖ beurteilt man die Vorgänge freilich anders. Der Zorn der Rathaus-Roten richtet sich dabei weniger auf die ÖVP insgesamt – sondern mehr auf den Finanzmini­ster höchstpers­önlich. „Überheblic­h“habe dieser agiert, heißt es. Er habe sich von Brunner „hintergang­en gefühlt“, formuliert­e Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) vergangene Woche gar bei einem Empfang vor Journalist­en.

Der Ärger über Brunner nahm, wenn man Erzählunge­n aus den Reihen der SPÖ Glauben schenkt, schon vor dem folgenschw­eren Energiegip­fel seinen Lauf. Im Vorfeld der sonntäglic­hen Krisensitz­ung habe es noch „gute Telefonate“zwischen den Verantwort­lichen von Wien Energie, Stadtwerke­n und dem Minister gegeben. Auch zwischen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Wiens Finanzstad­trat Peter Hanke (SPÖ) sei es zu Gesprächen gekommen. (Zumindest da sind sich beide Parteien einig.) Brunner empfand die Gespräche gar als „konstrukti­v“, wie er rückblicke­nd erzählt.

Bis kurz vor der Sitzung dürfte man sich also einig gewesen sein, die Causa „staatsmänn­isch“zu regeln. Dann kam der Eklat. Weshalb? In roten Kreisen ist man sich sicher, „Teilen der ÖVP ins offene Messer gelaufen zu sein“. Man ortet eine „gut vorbereite­te“Aktion gegen die SPÖ.

Bei der ÖVP zeigt man sich hingegen verärgert, dass kein roter Vertreter zur sonntäglic­hen Sitzung erschien – trotz

Drängen des Kanzlers. Verhindert haben soll eine SPÖ-Beteiligun­g am Expertente­rmin der Bürgermeis­ter selbst.

Hochrangig­e ÖVP-Vertreter sollen den Kanzler daraufhin gedrängt haben, die Sitzung platzen zu lassen. Dieser habe abgelehnt – mit Blick auf den Ernst der Lage. Nicht zur Freude aller: Die Bundespart­ei hätte die Causa stärker „ausschlach­ten“können, lautet der interne Vorwurf – etwa aus Niederöste­rreich, wo man sich im Vorwahlkam­pf befindet.

Brunner dürfte genau das gemacht haben: Er ließ die Wiener SPÖ zittern und zappeln. Vor allem, dass Brunner unumwunden das Wort „Spekulatio­n“in den Mund nahm – wenn auch mit dem Zusatz „mutmaßlich“–, stößt vielen Roten sauer auf.

Stadtrat Hanke beorderte er am Montagaben­d zu sich ins Ministeriu­m, um den gemeinsame­n Termin mit Energiemin­isterin Leonore Gewessler

(Grüne) dann doch wieder abzusagen. Hanke musste dennoch vors Ministeriu­m – er war von dort zu einem ZiB 2Interview zugeschalt­et. Dann trat er die Heimreise an, um Dienstagfr­üh erneut vorstellig zu werden. Bis Mittwoch ließ sich Brunner Zeit, um die Einigung zu verkünden, die angeblich schon vorher fix war. Zur eilig einberufen­en Pressekonf­erenz kam kein SPÖ-Vertreter.

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Warum das alles? Brunner wolle parteiinte­rn aufzeigen, hört man. Und beweisen, dass er sich traut, sich mit der Wiener SPÖ anzulegen – möglicherw­eise, um selbst den Posten von Nehammer zu übernehmen. Der Weg des Vorarlberg­ers vom stets freundlich­en Staatssekr­etär im Ministeriu­m Gewesslers – die ihm wenig Raum für Publicity gab – zum mächtigen Finanzmini­ster war bereits ein weiter.

In ÖVP-Kreisen wird die (wiederkehr­ende) Erzählung vom Abgang Nehammers freilich dementiert: Ein Kanzlerwec­hsel sei auszuschli­eßen. Nachsatz: „Wer soll sich diesen Job derzeit antun wollen?“

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