Ein türkiser Minister als rotes Tuch
Finanzminister Magnus Brunner ist bei der SPÖ derzeit Persona non grata: Man fühlt sich „hintergangen“. Brunner selbst will alles „nüchtern betrachten“. Was sich in den vergangenen Tagen zutrug, darüber ist man uneins
Einer der Orte, an denen man einen türkisen Finanzminister vielleicht am wenigsten erwarten würde, ist die Küche eines Start-ups im Herzen des traditionell roten Arbeiterbezirks Favoriten. Genau dort traf man Magnus Brunner diese Woche aber an – im Zuge eines Betriebsbesuchs mit Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer und dessen mutmaßlichem Kronprinzen, dem Nationalratsabgeordneten Nico Marchetti.
Brunner gab sich betont bodenständig, zeigte sich von Felix Urbanek, der im Jahr 2017 als 21-Jähriger das Unternehmen Rex Eat (bietet Mittagessen im Glas) gegründet hat, beeindruckt, stellte Nachfragen, scherzte und platzierte an jenen Stellen, die ihn besonders erstaunten, Sätze wie „Na servas, G’schäft!“
Mit dieser Hemdsärmeligkeit ist Brunner nicht nur die Antithese zu Vorgänger Gernot Blümel – wohl auch, weil Letzterer lieber über Philosophie sprach als über die Tücken von roHemtem Chili auf weißen den –, er ist damit auch ein Problem für die Wiener SPÖ. Das dürfte Brunner in vollen Zügen auskosten.
Der Betriebsbesuch in Favoriten ist der erste in Wien seit er im Amt ist. Man mache diese Besuche, wenn „sie gut in den Terminkalender passen“, erklärt ein Sprecher. Aber kann es wirklich ein Zufall sein, dass Brunner nur Tage nach den Vorfällen rund um die Wien Energie in Favoriten scherzt, während die SPÖ im Rathaus noch immer um Fassung ringt?
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Kommt die Sprache auf das Thema, hört man bei ÖVP und SPÖ komplett unterschiedliche Geschichten. Die von Brunner ist betont staatsmännisch. Dass die ÖVP die Situation ausgenutzt oder es sich um einen Spin gehandelt habe, um der Wiener SPÖ zu schaden, weist er im KURIERGespräch zurück. „Die Dramatik ist nicht von uns gekommen, sie kam von den Experten“, sagt er. Im Vordergrund sei die Frage gestanden: „Wie können wir helfen?“
Ein Wort fällt in Brunners Erzählungen besonders oft: nüchtern. Man wolle die Vorgänge „nüchtern betrachten“, alles „nüchtern analysieren“. Während Mahrer „die Emotionalität und Nervosität der
SPÖ nicht versteht“, kann Brunner „die Aufgeregtheit ein bisschen nachvollziehen“. Der Subtext: Während sich die SPÖ in den Emotionen verliert, will sich die ÖVP auf die Fakten konzentrieren.
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Bei der SPÖ beurteilt man die Vorgänge freilich anders. Der Zorn der Rathaus-Roten richtet sich dabei weniger auf die ÖVP insgesamt – sondern mehr auf den Finanzminister höchstpersönlich. „Überheblich“habe dieser agiert, heißt es. Er habe sich von Brunner „hintergangen gefühlt“, formulierte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vergangene Woche gar bei einem Empfang vor Journalisten.
Der Ärger über Brunner nahm, wenn man Erzählungen aus den Reihen der SPÖ Glauben schenkt, schon vor dem folgenschweren Energiegipfel seinen Lauf. Im Vorfeld der sonntäglichen Krisensitzung habe es noch „gute Telefonate“zwischen den Verantwortlichen von Wien Energie, Stadtwerken und dem Minister gegeben. Auch zwischen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) sei es zu Gesprächen gekommen. (Zumindest da sind sich beide Parteien einig.) Brunner empfand die Gespräche gar als „konstruktiv“, wie er rückblickend erzählt.
Bis kurz vor der Sitzung dürfte man sich also einig gewesen sein, die Causa „staatsmännisch“zu regeln. Dann kam der Eklat. Weshalb? In roten Kreisen ist man sich sicher, „Teilen der ÖVP ins offene Messer gelaufen zu sein“. Man ortet eine „gut vorbereitete“Aktion gegen die SPÖ.
Bei der ÖVP zeigt man sich hingegen verärgert, dass kein roter Vertreter zur sonntäglichen Sitzung erschien – trotz
Drängen des Kanzlers. Verhindert haben soll eine SPÖ-Beteiligung am Expertentermin der Bürgermeister selbst.
Hochrangige ÖVP-Vertreter sollen den Kanzler daraufhin gedrängt haben, die Sitzung platzen zu lassen. Dieser habe abgelehnt – mit Blick auf den Ernst der Lage. Nicht zur Freude aller: Die Bundespartei hätte die Causa stärker „ausschlachten“können, lautet der interne Vorwurf – etwa aus Niederösterreich, wo man sich im Vorwahlkampf befindet.
Brunner dürfte genau das gemacht haben: Er ließ die Wiener SPÖ zittern und zappeln. Vor allem, dass Brunner unumwunden das Wort „Spekulation“in den Mund nahm – wenn auch mit dem Zusatz „mutmaßlich“–, stößt vielen Roten sauer auf.
Stadtrat Hanke beorderte er am Montagabend zu sich ins Ministerium, um den gemeinsamen Termin mit Energieministerin Leonore Gewessler
(Grüne) dann doch wieder abzusagen. Hanke musste dennoch vors Ministerium – er war von dort zu einem ZiB 2Interview zugeschaltet. Dann trat er die Heimreise an, um Dienstagfrüh erneut vorstellig zu werden. Bis Mittwoch ließ sich Brunner Zeit, um die Einigung zu verkünden, die angeblich schon vorher fix war. Zur eilig einberufenen Pressekonferenz kam kein SPÖ-Vertreter.
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Warum das alles? Brunner wolle parteiintern aufzeigen, hört man. Und beweisen, dass er sich traut, sich mit der Wiener SPÖ anzulegen – möglicherweise, um selbst den Posten von Nehammer zu übernehmen. Der Weg des Vorarlbergers vom stets freundlichen Staatssekretär im Ministerium Gewesslers – die ihm wenig Raum für Publicity gab – zum mächtigen Finanzminister war bereits ein weiter.
In ÖVP-Kreisen wird die (wiederkehrende) Erzählung vom Abgang Nehammers freilich dementiert: Ein Kanzlerwechsel sei auszuschließen. Nachsatz: „Wer soll sich diesen Job derzeit antun wollen?“