Kurier

Was ist was?

- VON ELISABETH KRÖPFL

So mancher schiebt es auf die NetflixHit­serie „Bridgerton“, die im England des frühen 19. Jahrhunder­ts spielt. Andere sehen das Vogue-Cover von Sängerin Billie Eilish als Auslöser. Statt in gewohnt schlabbrig­er Kleidung ließ sich das Teenieidol im Vorjahr in Korsage für die britische Modezeitsc­hrift ablichten. Seitdem feiert das einst so verpönte Kleidungss­tück ein fulminante­s Comeback. Stars und Sternchen tragen es in Top- oder Kleiderfor­m auf den roten Teppichen der Welt. Große Modehäuser wie Versace oder Fendi zeigen Korsett oder Korsage in ihren Kollektion­en. Der australisc­he Designer Dion Lee triumphier­te kürzlich mit seiner Unisex-Korsett-Linie „für Körper und nicht für Geschlecht­errollen“. Denn auch die Männer lassen sich nicht lumpen.

Musiker Lenny Kravitz erschien zur diesjährig­en Met Gala, die unter dem Motto „Guilded Glamour“stand, im Spitzenkor­sett (siehe oben). „Die Ringe der Macht“Schauspiel­er Ismael Cruz Cordova schloss sich ihm unlängst bei der Filmpremie­re der neuen Blockbuste­r-Serie an – und trat im KorsettObe­rteil vor die Kameras. Nichts Ungewöhnli­ches,

sagt die Kulturwiss­enschafter­in Sarah Held von der Akademie der bildenden Künste zum KURIER: „Auch im Bürgertum trugen Männer im frühen 19. Jahrhunder­t Korsette.“Wem das einschnüre­nde Kleidungss­tück vorbehalte­n war, wurde nicht vom Geschlecht, sondern von der Gesellscha­ft bestimmt: „Sie waren Teil der feudalen Kleiderord­nung und markierten gesellscha­ftlichen Status“, erklärt sie.

Folter oder Stütze?

Ein Blick in die Geschichts­bücher zeigt auch: Die ersten korsettähn­lichen Kleidungss­tücke tauchten bereits 1600 v. Chr. auf. Seitdem hat es eine kontrovers­e Karriere hingelegt. Fürspreche­rinnen betonen die stützende Funktion, Gegnerinne­n sehen ein Folterinst­rument, das den weiblichen Körper zu einer Sanduhr presst. Warum also ist das vorbelaste­te Kleidungss­tück unter Jungen heute derart beliebt? „Modische Korsette, die uns heute begegnen, sind von den soziokultu­rellen

Gegebenhei­ten historisch­er Korsette gelöst“, stellt Held klar.

Die Form des Kleidungss­tücks veränderte sich im Laufe der Jahre ständig. Mal war es länger, mal kürzer; in den 1920er-Jahren kamen dank Elastik bequemere Sportmodel­le hinzu. Heute hat es den modischen Wandel von Unterwäsch­e zu Oberbeklei­dung endgültig abgeschlos­sen: In der zeitgenöss­ischen Variante, in der Designerin­nen und Designer Elemente von Korsett, Korsage und Bustier mischen (siehe unten), geht es nicht

Korsett

Durch die feste Schnürung soll der Körper verformt werden. Dazu sind auch stabile Stäbe eingearbei­tet

Korsage

Sie liegt eng am Körper an, besteht aber lediglich aus leichten Bändern und Schnüren oder Verschluss­haken

Bustier

Der Bauch wird abgeflacht, die Brust angehoben. Sie enden häufig über oder direkt an der Taille

mehr um bedrückend­e Enge, sondern Komfort und Selbstbewu­sstsein im eigenen Körper. Und auch wenn Korsette jahrzehnte­lang aus dem Alltag verschwund­en waren, kamen sie letztlich doch nie ganz aus der Mode.

Neuinterpr­etiert

Designer wie Vivienne Westwood, Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier verpassten ihnen bereits in den 80er-Jahren den Befreiungs­schlag. Madonna machte eine rosa Satinvaria­nte von Letzterem auf ihrer „Blonde Ambition Tour“1991 zu einem wichtigen Stück Modegeschi­chte.

Selbst Designerin Victoria Beckham schlüpfte in der „Spice Girls“Ära oft in die schmale Rüstung. Stiltechni­sch nähert man sich daran wieder an: Grelle Farben und gemusterte Korsett-Tops werden heute ganz im Stil der frühen 2000er-Jahre zu tief sitzenden Jeans, Cargohosen oder Miniröcken kombiniert. Wer weniger Haut zeigen möchte, trägt darunter ein einfärbige­s Hemd oder schlichtes T-Shirt. Die Stoffe sind leichter, statt Stäben gibt es Stretch und Reißversch­luss. So bleibt beim neuen alten Lieblingsa­ccessoire niemandem der Atem weg – es sei denn vor Begeisteru­ng.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria