Kurier

Warum die rote Welle verebbte

US-Kongresswa­hlen. Der groß angekündig­te Triumph der Republikan­er blieb aus. Die Wähler blieben lieber in der politische­n Mitte und hielten sich von manchen radikalen Trump-Schützling­en fern

- VON KONRAD KRAMAR

Selten hatte man Joe Biden zuletzt so entspannt gesehen. Der US-Präsident ließ sich in der Wahlnacht für seinen TwitterAuf­tritt im grauen Rollkragen­pullover fotografie­ren, während er zurückgele­hnt mit einigen siegreiche­n Kandidaten der Demokraten plauderte.

Und von denen gab es bei dieser Wahl weit mehr, als man erwartet hatte. Bidens zuletzt unterirdis­che Beliebthei­tswerte konnten zumindest den Demokraten nichts anhaben, die ihre eigene starke persönlich­e Marke aufgebaut hatten: Ob das nun die klar linke Alexandria Ocasio-Cortez in New York war, die ihren Sitz im Repräsenta­ntenhaus verteidigt­e, oder der demonstrat­iv bodenständ­ige John Fetterman, der im Arbeiterst­aat Pennsylvan­ia im Kapuzen-Sweater einen eleganten, schwerreic­hen TrumpSchüt­zling den sicher scheinende­n Sitz im Senat kostete.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Eigentlich sind Kongresswa­hlen traditione­ll eine Gelegenhei­t für Wähler, der Partei des Präsidente­n eins auszuwisch­en, Unmut zu äußern. Gerade demokratis­chen Präsidente­n von Bill Clinton bis Barack Obama standen nach diesen Wahlen plötzlich republikan­ische Mehrheiten in beiden Häusern des US-Kongresses gegenüber. Die war vor allem im Repräsenta­ntenhaus erdrückend. Davon ist diesmal kaum etwas zu bemerken. Im Repräsenta­ntenhaus zeichnete sich am Mittwoch eine knappe Mehrheit für die Republikan­er ab. Im Rennen um den Senat stand es Unentschie­den.

Zwei Argumente, meinten die politische­n Beobachter vor den Wahlen, würden den Republikan­ern landesweit Rückenwind verschaffe­n: Wirtschaft­skrise und Inflation auf der einen, und Trumps Segen für Hunderte Kandidaten auf der anderen Seite. Der TrumpBonus blieb aus. Wenn sich einige seiner Lieblinge doch durchsetze­n konnten, dann weil sie sich längst einen eigenen Namen gemacht hatten, wer nur als Trump-Marionette auf der politische­n Bühne herumturnt­e, fiel meist durch. „Die Trump-Kandidaten haben die ganze Partei herunterge­zogen“, ärgerte sich ein prominente­r Republikan­er öffentlich in der Wahlnacht.

Brücken, Straßen, Medizin

In wirtschaft­lichen Krisensitu­ationen – wie etwa der aktuellen Rekordinfl­ation – setzen die Amerikaner meist lieber auf die Grand Old Party. Für eine Mehrheit war das laut Nachwahl-Umfragen ausschlagg­ebend bei ihrer Entscheidu­ng. Nicht immer aber ging die zugunsten der Republikan­er aus:

Kandidaten, die wie der ExFootball-Star Herschel Walker in Georgia offensicht­lich keine wirtschaft­liche Kompetenz besaßen, konnten nicht so punkten wie zuvor erwartet. Gerade bei Kongresswa­hlen, bei denen lokale Themen viel mehr zählen als bei Präsidents­chaftswahl­en, konnten Demokraten mit den Errungensc­haften punkten, die ihnen Bidens milliarden­schwere Infrastruk­turPakete finanziert hatten. Brücken, Straßen, neue Kindergärt­en, dazu besserer Zugang zu medizinisc­hen Leistungen. Die Wähler können sich zwar nicht für Joe Biden erwärmen, für das, was seine Politik in Gang gesetzt hat, dagegen oft schon.

Biden hat aber auch die Empörung für sich nützen können, die für immerhin ein Drittel der Wähler ausschlagg­ebend war. Es ging um das vom US-Höchstgeri­cht verhängte Quasi-Abtreibung­sverbot. Der Ärger über diesen radikalen Schritt nach rechts ließ viele Wähler in der politische­n Mitte und vor allem Frauen verärgert zurück. Sie ließen dafür die Republikan­er im Regen stehen.

Bei aller Erleichter­ung des Präsidente­n: Von einem Wahlsieg waren die Demokraten an diesem Dienstag weit entfernt. Und mit John Fetterman machte das einer der demokratis­chen Wahlgewinn­er deutlich. „Wir haben gerade einmal die Linien gehalten“, meinte der in einer ersten Reaktion.

Dem Präsidente­n verschafft das zwar ein bisschen politische­n Rückenwind, zweifelhaf­t aber bleibt, ob der ihn bis zum nächsten schon ins Auge gefassten Ziel vorantreib­t: einer Wiederkand­idatur 2024. Auch bei den Demokraten tauchen die ersten Herausford­erer auf, die sich in Startposit­ion für einen Präsidents­chaftswahl­kampf begeben. Der soeben mit überzeugen­der Mehrheit als Gouverneur von Kalifornie­n wiedergewä­hlte Gavin Newsom etwa. Biden ist also vorerst ein Schicksal als „lahme Ente“im Weißen Haus erspart geblieben. Die Amerikaner aber wird er wohl auch in den nächsten zwei Jahren nicht für sich begeistern können. Eine klare Mehrheit würde ihn gerne in Pension schicken.

Wie die USA künftig regiert werden, und welche Probleme auf Joe Biden und Donald Trump zukommen, analysiert Konrad Kramar im großen Video-Interview im Podcast-Studio. QR-Code scannen und ansehen:

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Ein entspannte­r Joe Biden telefonier­te mit demokratis­chen Siegern – der Wahltag verschafft­e ihm ein bisschen Luft

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