Patientenmilliarde? „Das war hirnrissig“
Andreas Huss. Wahlärzte sollen an das eCard- und ELGA-System angeschlossen werden und transparente Rechnungen legen, statt sie – wie derzeit oft noch – mit der Hand zu schreiben, fordert der ÖGK-Obmann
Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), über Fehler im Wahlarztsystem und Verbesserungen bei der Ärzte-Ausbildung.
Herr Huss, Sie üben scharfe Kritik am Wahlarztsystem. Warum eigentlich?
Weil es ein derartiges Wahlarztsystem in ganz Europa nicht gibt. Im Rest der Welt trennt man das öffentliche System von den privaten Ärzten. In Österreich ist diese Trennung politisch nicht umsetzbar, deshalb plädiere ich dafür, die Wahlärzte zumindest beim Datenaustausch an das öffentliche Gesundheitssystem anzubinden. Momentan wissen wir als Gesundheitskasse nicht einmal, was in einer WahlarztPraxis passiert.
KURIER: Andreas Huss:
Wie meinen Sie das?
Von 11.000 Wahlärzten haben gerade einmal 460 eine Anbindung an das eCard-System. Das bedeutet: Diese Ärzte sehen keine Spitalsentlassungsbriefe, keine Befunde in ELGA, nichts. Wenn ihnen die Patienten nichts erzählen, beginnen sie bei Null. Ich plädiere dafür, dass Wahlärzte zumindest an die eCard, an eRezept und ELGA angeschlossen sein müssen, um diese Informationen zu bekommen und gut arbeiten zu können.
Legen Sie sich damit nicht mit Ihren eigenen Kunden an? Bei Versicherten sind Wahlärzte deshalb so beliebt, weil man schneller Termine bekommt und sie sich oft mehr Zeit für die Betreuung nehmen.
Das stimmt schon, allerdings haben wir den wichtigsten Punkt noch gar nicht angesprochen: die transparente Abrechnung. Rund ein Drittel der Wahlärzte erstellt bis heute handschriftliche Abrechnungen. Da ist oft nicht klar, welche Leistungen den Patienten genau verrechnet werden. In der Praxis bedeutet das: Ein Patient reicht bei uns eine Rechnung über 200 Euro ein, und unsere Mitarbeiter müssen dann anhand dieser Rechnung überprüfen, was von dem Bezahlten überhaupt eine Kassenleistung ist. Wir als ÖGK stehen für evidenzbasierte Medizin, nur diese finanzieren wir. Und dafür braucht es eine transparente digitale Abrechnung, mit der der Arzt verpflichtet ist, seinem Patienten zu erklären, was die Kasse übernimmt und was eine reine Privatleistung ist. Das wäre für alle Beteiligten ein Gewinn – vor allem für die Versicherten.
Zuletzt wurde die Zugangsprüfung für das Medizinstudium stark diskutiert. Würden Sie diese ändern?
Unbedingt. Es sollte sich auszahlen, wenn man sich vor dem Studium etwa bei Rettungsorganisationen, in einem freiwilligen Sozialjahr oder im Zivildienst engagiert – Bewerber mit solchen sozialen Fähigkeiten sollten beim Aufnahmetest für die Medizin Pluspunkte sammeln können. Zusätzlich fände ich es richtig, würden wir jene Kandidaten bevorzugen, die sich verpflichten, nach dem Studium zehn Jahre im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten. In mehreren deutschen Bundesländern funktioniert das bereits sehr gut.
Was, wenn sich jemand verpflichtet und später aus dem System ausscheiden will?
Dann muss man sich eine Sanktion überlegen – zum Beispiel, dass ein Teil der Ausbildungskosten bezahlt werden muss. Wenn es nach mir geht, würden wir ohnehin mehr Plätze im Medizinstudium vorsehen. Es ist allerdings wichtig, dass diese Mediziner im öffentlichen Gesundheitssystem bleiben. Denn es bringt nichts, wenn ich mit staatlichem Geld mehr Ärzte ausbilde, und am Ende wollen alle Schönheitschirurgen werden.
Die ÖGK gibt es seit 2020. Die vor der Fusion versprochene Einsparung von einer Milliarde, die „Patientenmilliarde“, gibt es nicht, im Gegenteil: Man spricht von Mehrkosten in Millionenhöhe. Wie steht’s um die Finanzen?
Ich sehe diese Einsparungen im Moment nicht. In Wahrheit hat uns bisher vor allem die Neuaufstellung des Betriebes beschäftigt. Manches funktioniert heute noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Da gibt es also durchaus Nachjustierungsbedarf.
Die Patientenmilliarde frommer Wunsch?
Die damalige Aussage von Altkanzler Kurz, dass bis 2023 eine Milliarde bei den Verwaltungskosten eingespart werden kann, war hirnrissig. Die damaligen neun Gebietskrankenkassen hatten 400 Millionen Euro Verwaltungskosten. Wenn man da in vier Jahren eine Milliarde einsparen möchte, müsste man ab dem ersten Jahr 250 Millionen einsparen. Dass das nicht gehen kann, liegt auf der Hand. Auch bei anderen Fusionen hat sich gezeigt, dass sie zunächst einmal Geld kosten.
als
Aber wie geht es weiter? Für 2023 wird ein Defizit von 111 Millionen erwartet …
Das wird sich nicht ausgehen. Deshalb sage ich ja immer: Wir brauchen eine gerechte Finanzierung, aber kein zusätzliches Geld für die ÖGK. Also keine höheren Beiträge oder mehr Mittel aus dem Steuertopf, sondern nur eine gerechtere Verteilung des Geldes.
Was verstehen Sie unter einer gerechten Finanzierung?
Wir müssen die Finanzbelastungen, die uns das neue Sozialversicherungsgesetz gebracht hat, wieder zurücknehmen. Das ist der Prikraf, wo es um 17 Millionen geht. Dann die geringeren Rückflüsse aus der AUVA, da reden wir von 70 Millionen Euro. Und die einheitlichen Leistungen über alle Träger, also den versprochenen RisikoStruktur-Ausgleich etwa zwischen uns und der Beamten-Versicherung, das bringt 200 Millionen im Jahr. Und mit einem einheitlichen Hebesatz (Dienstgeberbeitrag für Pensionisten; Anm.) kämen wir in Summe auf 500 Millionen für die ÖGK.