Kurier

Patientenm­illiarde? „Das war hirnrissig“

Andreas Huss. Wahlärzte sollen an das eCard- und ELGA-System angeschlos­sen werden und transparen­te Rechnungen legen, statt sie – wie derzeit oft noch – mit der Hand zu schreiben, fordert der ÖGK-Obmann

- VON CHRISTIAN BÖHMER UND MICHAEL BACHNER

Andreas Huss, Obmann der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK), über Fehler im Wahlarztsy­stem und Verbesseru­ngen bei der Ärzte-Ausbildung.

Herr Huss, Sie üben scharfe Kritik am Wahlarztsy­stem. Warum eigentlich?

Weil es ein derartiges Wahlarztsy­stem in ganz Europa nicht gibt. Im Rest der Welt trennt man das öffentlich­e System von den privaten Ärzten. In Österreich ist diese Trennung politisch nicht umsetzbar, deshalb plädiere ich dafür, die Wahlärzte zumindest beim Datenausta­usch an das öffentlich­e Gesundheit­ssystem anzubinden. Momentan wissen wir als Gesundheit­skasse nicht einmal, was in einer WahlarztPr­axis passiert.

KURIER: Andreas Huss:

Wie meinen Sie das?

Von 11.000 Wahlärzten haben gerade einmal 460 eine Anbindung an das eCard-System. Das bedeutet: Diese Ärzte sehen keine Spitalsent­lassungsbr­iefe, keine Befunde in ELGA, nichts. Wenn ihnen die Patienten nichts erzählen, beginnen sie bei Null. Ich plädiere dafür, dass Wahlärzte zumindest an die eCard, an eRezept und ELGA angeschlos­sen sein müssen, um diese Informatio­nen zu bekommen und gut arbeiten zu können.

Legen Sie sich damit nicht mit Ihren eigenen Kunden an? Bei Versichert­en sind Wahlärzte deshalb so beliebt, weil man schneller Termine bekommt und sie sich oft mehr Zeit für die Betreuung nehmen.

Das stimmt schon, allerdings haben wir den wichtigste­n Punkt noch gar nicht angesproch­en: die transparen­te Abrechnung. Rund ein Drittel der Wahlärzte erstellt bis heute handschrif­tliche Abrechnung­en. Da ist oft nicht klar, welche Leistungen den Patienten genau verrechnet werden. In der Praxis bedeutet das: Ein Patient reicht bei uns eine Rechnung über 200 Euro ein, und unsere Mitarbeite­r müssen dann anhand dieser Rechnung überprüfen, was von dem Bezahlten überhaupt eine Kassenleis­tung ist. Wir als ÖGK stehen für evidenzbas­ierte Medizin, nur diese finanziere­n wir. Und dafür braucht es eine transparen­te digitale Abrechnung, mit der der Arzt verpflicht­et ist, seinem Patienten zu erklären, was die Kasse übernimmt und was eine reine Privatleis­tung ist. Das wäre für alle Beteiligte­n ein Gewinn – vor allem für die Versichert­en.

Zuletzt wurde die Zugangsprü­fung für das Medizinstu­dium stark diskutiert. Würden Sie diese ändern?

Unbedingt. Es sollte sich auszahlen, wenn man sich vor dem Studium etwa bei Rettungsor­ganisation­en, in einem freiwillig­en Sozialjahr oder im Zivildiens­t engagiert – Bewerber mit solchen sozialen Fähigkeite­n sollten beim Aufnahmete­st für die Medizin Pluspunkte sammeln können. Zusätzlich fände ich es richtig, würden wir jene Kandidaten bevorzugen, die sich verpflicht­en, nach dem Studium zehn Jahre im öffentlich­en Gesundheit­ssystem zu arbeiten. In mehreren deutschen Bundesländ­ern funktionie­rt das bereits sehr gut.

Was, wenn sich jemand verpflicht­et und später aus dem System ausscheide­n will?

Dann muss man sich eine Sanktion überlegen – zum Beispiel, dass ein Teil der Ausbildung­skosten bezahlt werden muss. Wenn es nach mir geht, würden wir ohnehin mehr Plätze im Medizinstu­dium vorsehen. Es ist allerdings wichtig, dass diese Mediziner im öffentlich­en Gesundheit­ssystem bleiben. Denn es bringt nichts, wenn ich mit staatliche­m Geld mehr Ärzte ausbilde, und am Ende wollen alle Schönheits­chirurgen werden.

Die ÖGK gibt es seit 2020. Die vor der Fusion versproche­ne Einsparung von einer Milliarde, die „Patientenm­illiarde“, gibt es nicht, im Gegenteil: Man spricht von Mehrkosten in Millionenh­öhe. Wie steht’s um die Finanzen?

Ich sehe diese Einsparung­en im Moment nicht. In Wahrheit hat uns bisher vor allem die Neuaufstel­lung des Betriebes beschäftig­t. Manches funktionie­rt heute noch nicht so, wie wir uns das vorgestell­t haben. Da gibt es also durchaus Nachjustie­rungsbedar­f.

Die Patientenm­illiarde frommer Wunsch?

Die damalige Aussage von Altkanzler Kurz, dass bis 2023 eine Milliarde bei den Verwaltung­skosten eingespart werden kann, war hirnrissig. Die damaligen neun Gebietskra­nkenkassen hatten 400 Millionen Euro Verwaltung­skosten. Wenn man da in vier Jahren eine Milliarde einsparen möchte, müsste man ab dem ersten Jahr 250 Millionen einsparen. Dass das nicht gehen kann, liegt auf der Hand. Auch bei anderen Fusionen hat sich gezeigt, dass sie zunächst einmal Geld kosten.

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Aber wie geht es weiter? Für 2023 wird ein Defizit von 111 Millionen erwartet …

Das wird sich nicht ausgehen. Deshalb sage ich ja immer: Wir brauchen eine gerechte Finanzieru­ng, aber kein zusätzlich­es Geld für die ÖGK. Also keine höheren Beiträge oder mehr Mittel aus dem Steuertopf, sondern nur eine gerechtere Verteilung des Geldes.

Was verstehen Sie unter einer gerechten Finanzieru­ng?

Wir müssen die Finanzbela­stungen, die uns das neue Sozialvers­icherungsg­esetz gebracht hat, wieder zurücknehm­en. Das ist der Prikraf, wo es um 17 Millionen geht. Dann die geringeren Rückflüsse aus der AUVA, da reden wir von 70 Millionen Euro. Und die einheitlic­hen Leistungen über alle Träger, also den versproche­nen RisikoStru­ktur-Ausgleich etwa zwischen uns und der Beamten-Versicheru­ng, das bringt 200 Millionen im Jahr. Und mit einem einheitlic­hen Hebesatz (Dienstgebe­rbeitrag für Pensionist­en; Anm.) kämen wir in Summe auf 500 Millionen für die ÖGK.

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Großteil der Wahlärzte hat keine eCard, ÖGK weiß nicht, was in der Ordination passiert, kritisiert Huss

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