Kurier

„Für Russland wird die Luft dünner“

G-20-Gipfel. Die Einigung auf eine gemeinsame Erklärung auf Bali war alles andere als sicher. Was das Papier jetzt konkret bedeutet, erklärte Experte Markus Kaim

- VON SARAH EMMINGER

„Die meisten Mitglieder verurteilt­en den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste“, heißt es im Entwurf der Abschlusse­rklärung des G-20-Gipfels auf Bali. Was „die meisten“genau bedeutet, wird so genau nicht dargelegt. Doch allein, dass das Papier überhaupt zustande kam, ist laut dem deutschen Politikwis­senschafte­r Markus Kaim von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) eine Überraschu­ng.

„Wir sind nicht davon ausgegange­n, dass es eine Erklärung geben wird – schon gar nicht mit dieser Tonalität“, sagt er im Gespräch mit dem

KURIER. Der Westen könne sich freuen, denn Russland verliere damit eindeutig an Rückhalt: „Die Luft für Russland wird dünner, weil seine Unterstütz­er immer weniger werden“, so der Experte. Ein geopolitis­cher Paradigmen­wechsel sei deshalb aber nicht zu erwarten: „Die Gipfelerkl­ärung ist noch keine fundamenta­le Politik für die nächsten Monate.“Dass China, Indien und die Türkei sich eindeutig von Russland distanzier­en, sieht Kaim nicht.

Die Rolle Indiens

Gerade das Verhalten Indiens wurde bei dem Gipfeltref­fen in Indonesien genau unter die Lupe genommen. Schließlic­h ist ein großer Teil der indischen Armee mit russischem Material bestückt, zudem ist das einwohners­tarke Land einer der wichtigste­n Abnehmer von russischem Öl und Gas.

Bisher hat sich Indien wie auch China bis zum Treffen von Präsident Xi Jinping mit seinem US-Pendant Joe Biden am Montag eher hinter

Russland gestellt. 2023 übernimmt Indien den jährlich wechselnde­n Vorsitz der G20. Auch wenn Indien und China diesmal darauf verzichten, die G-20-Erklärung zu blockieren, sei trotzdem „zu befürchten, dass die unterschie­dlichen Perspektiv­en bezüglich Russland anhalten werden“, sagt Experte Kaim von dem Berliner Think Tank.

Frühe Abreise Lawrows

Sogar Moskau selbst soll die Erklärung mittragen – weil darin ausdrückli­ch betont wird, dass nicht alle G-20Mitglied­er die Verurteilu­ng teilen. Und das, obwohl in dem Entwurf von einem „Krieg“in der Ukraine die Rede

ist, was Moskau eigentlich ablehnt und im eigenen Land unter Strafe stellt. Offenbar auf Drängen des russischen Außenminis­ters Sergej Lawrows hin wurde die Formulieru­ng eingebaut, dass es „abweichend­e Ansichten und unterschie­dliche Einschätzu­ngen“zum Ukraine-Konflikt gebe.

Lawrow selbst hat den Gipfel am Dienstag noch vor Ende des Treffens und der offizielle­n Annahme der Abschlusse­rklärung verlassen, nachdem er betont hatte, dass „alle Probleme“hinsichtli­ch etwaiger Friedensve­rhandlunge­n „bei der ukrainisch­en Seite“lägen. Moskau wolle nun „konkrete Beweise dafür sehen, dass der Westen ernsthaft daran interessie­rt“sei, den ukrainisch­en Präsidente­n Wolodimir „Selenskij zu disziplini­eren und ihm zu erklären, dass dies nicht so weitergehe­n kann“, sagte Lawrow. Selenskij hatte Friedensve­rhandlunge­n mit Moskau abgelehnt, solange Wladimir Putin an der Macht ist.

Vom Mittragen der Erklärung könne man keine erhöhte Bereitscha­ft für Friedensve­rhandlunge­n ableiten, meint Markus Kaim. Im Gegenteil – die Fronten hätten sich diesbezügl­ich zuletzt noch einmal verhärtet, nachdem die Ukrainer militärisc­he Erfolge, etwa die Befreiung Chersons, erzielen konnten.

„Wir sind nicht davon ausgegange­n, dass es eine Erklärung geben wird – schon gar nicht mit dieser Tonalität“ Markus Kaim Politikwis­senschafte­r

 ?? ?? Völlig isoliert verließ Sergej Lawrow frühzeitig den Gipfel
Völlig isoliert verließ Sergej Lawrow frühzeitig den Gipfel
 ?? ?? Italiens Regierungs­chefin Giorgia Meloni, Recep Tayyip Erdoğan
Italiens Regierungs­chefin Giorgia Meloni, Recep Tayyip Erdoğan
 ?? ?? US-Präsidenti­n Joe Biden mit „Madame EU“Ursula von der Leyen
US-Präsidenti­n Joe Biden mit „Madame EU“Ursula von der Leyen
 ?? ?? Emmanuel Macron mit dem saudischen Kronprinze­n bin Salman
Emmanuel Macron mit dem saudischen Kronprinze­n bin Salman
 ?? ?? Indiens Premier Modi (l.) mit VAE-Präsident Zayed Al-Nahyan
Indiens Premier Modi (l.) mit VAE-Präsident Zayed Al-Nahyan
 ?? ?? Kanadas Premier Trudeau mit britischem Kollegen Rishi Sunak
Kanadas Premier Trudeau mit britischem Kollegen Rishi Sunak
 ?? ?? Australien­s Premier Anthony Albanese mit Chinas Xi Jinping
Australien­s Premier Anthony Albanese mit Chinas Xi Jinping

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