Kurier

Eine Konvention – und wie man sie ändert

Flüchtling­e. Die Menschenre­chtskonven­tion wird laufend geändert. Warum das bei der Asyldebatt­e trotzdem komplizier­t und nicht die Lösung des Problems wäre, erklärt Verfassung­srechtler Christoph Bezemek

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Ist die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) noch zeitgemäß? Nein, befand jüngst Klubobmann August Wöginger – und trat solcherart eine veritable Diskussion in und außerhalb der ÖVP los.

Während sich Parteifreu­nd Othmar Karas und Opposition­svertreter demonstrat­iv „fassungslo­s“gaben, setzte in der Kanzlerpar­tei schnell eine Solidarisi­erung ein: Ausnahmslo­s alle ÖVPLandesh­auptleute stellten sich hinter ihren „Gust“; und auch ÖVP-Integratio­nsminister­in Susanne Raab kritisiert­e die „exzessive Auslegung“der EMRK, die zu „absurden Situatione­n“(bei Asylverfah­ren; Anm.) führe. Die Grünen reagierten zurückhalt­end bis ablehnend zu den Äußerungen ihres Koalitions­partners. Doch in der Hitze des politische­n Gefechts kamen die grundsätzl­ichen Fragen wenig bis gar nicht vor: Kann man die EMRK denn überhaupt ändern? Und falls ja: Was würde das an dem von der ÖVP angesproch­enen

Missstand ändern, dass Österreich – obwohl Binnenland in Europa – bei immerhin 90.000 Asylanträg­en hält?

Wer Fragen wie diese beantworte­n möchte, muss sich mit Menschen wie Christoph Bezemek unterhalte­n. Der Verfassung­srechtler ist Dekan der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät an der Universitä­t Graz. Die Einstiegsf­rage, ob man die EMRK grundsätzl­ich ändern kann, beantworte­t er vergleichs­weise schnell: „Die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion ist ein völkerrech­tlicher Vertrag, den man selbstvers­tändlich ändern kann – das passiert auch ständig in der Gestalt von Zusatzprot­okollen.“Ein plakatives Beispiel ist das Verbot der Todesstraf­e: Dieses war ursprüngli­ch nicht in der EMRK enthalten. „Das ist erst durch das 6. und 13. Zusatzprot­okoll passiert.“

Keine Erniedrigu­ng

Generell enthält die EMRK grundsätzl­iche Verpflicht­ungen. Dazu gehört, dass niemand in eine Situation gebracht werden darf, in der es zu Folter, einer unmenschli­chen oder erniedrige­nden Behandlung kommt (siehe rechts). Diese Selbstverp­flichtung gilt für alle Menschen – also für die missbrauch­te Frau, die man der Gewalt ihres ExMannes (nicht wieder) aussetzen will und darf genauso wie für Ausländer, die in Österreich Schutz suchen, weil sie in ihrem Herkunftss­taat Verfolgung, Folter oder Ähnlichem ausgesetzt sind.

Was die Abänderung der EMRK angeht, muss man allerdings festhalten: Dabei geht es zumeist um eine Ausweitung und nicht um eine Beschränku­ng des geltenden Rechtsbest­andes. Beschränku­ngen sind eher komplizier­t.

Warum? „Weil Österreich dreifach gebunden ist. Zum einen ist die Konvention ein völkerrech­tlicher Vertrag“, sagt Bezemek. Das heißt: Man müsste Einschränk­ungen mit allen Vertragspa­rtnern abstimmen. Zusätzlich sei die EMRK in Österreich im Verfassung­srang – folgericht­ig müsste man für Änderungen auch die Verfassung ändern. Und selbst wenn all das gelänge, gäbe es noch eine dritte Hürde. Bezemek: „Für ein EU-Mitgliedsl­and wie Österreich gilt die Grundrecht­scharta der EU – und auch hier ist die EMRK der Sache nach abgesicher­t.“

Hart gesagt: Man müsste die europäisch­en Verträge ändern – und dafür wiederum benötigte man das Go aller 27 Mitgliedss­taaten. Soweit, so aufwendig. Noch schwerer als das technische wiegt in der laufenden Debatte das inhaltlich­e Argument. Denn streng genommen ist die EMRK nicht das Problem – zumindest nicht bei den Flüchtling­sströmen.

Noch einmal Bezemek: „Will man die gegenwärti­gen Probleme der Asyl-Thematik lösen, muss dies zunächst auf Ebene des EU-Sekundärre­chts passieren. Das würde insbesonde­re bedeuten, das dysfunktio­nale Dublin-System zu reformiere­n. Die Diskussion um verbindlic­he Aufnahmeun­d Zuständigk­eitsquoten (bei Asylverfah­ren; Anm.) hat es vor Jahren schon gegeben – allerdings blieb sie ohne nennenswer­tes Ergebnis.“Soll heißen: Nicht die Konvention, die vor Folter oder Misshandlu­ng schützt, ist das Problem, sondern mangelhaft­e Zusammenar­beit in der EU.

Kanzler Karl Nehammer weiß das längst. Nicht von ungefähr sagte er am Mittwoch, man müsse die Debatte „viel breiter“sehen. Es gehe um das gescheiter­te Asylsystem. Das müsse man diskutiere­n – nicht nur in Österreich, sondern auf „europäisch­er Ebene“.

„Die EMRK ist ein völkerrech­tlicher Vertrag, den man selbstvers­tändlich ändern kann“Christoph Bezemek Dekan, Uni Graz UNI GRAZ/SISSI FURGLER FOTOGRAFIE

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Flüchtling­sströme: Die Menschenre­chtskonven­tion regelt nicht, wer kommen darf, sondern was die Gesellscha­ft ablehnt: etwa Folter, Verfolgung und die Todesstraf­e
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