Blamage in Berlin: Wahl muss binnen 90 Tagen komplett wiederholt werden
Fehlende Stimmzettel, Stimmabgabe nach Wahlschluss – Verfassungsgericht konstatiert grobe Schlamperei
Wir in Österreich kennen das ja: Wahlwiederholung wegen eines zu saloppen Umgangs mit Briefwahlstimmen und zu früher Veröffentlichung von Wahlergebnissen, geschehen bei der Bundespräsidenten-Stichwahl im Jahr 2016.
In Deutschland sorgt Ähnliches für Fassungslosigkeit. Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom vergangenen Jahr muss wegen einer ganzen Reihe von Fehlern wiederholt werden. Das entschied nun der Berliner Verfassungsgerichtshof, der die Wahlen für ungültig erklärte.
„Ganz Deutschland schämt sich für Berlin“, übertitelt die Bild-Zeitung einen Kommentar zur „WahlSchlamperei“vom 26. September.
Deutschland.
Sie sei „eine Katastrophe“.
Was war passiert? Am letzten September-Sonntag des vergangenen Jahres wurde in der deutschen Hauptstadt das Abgeordnetenhaus neu gewählt, zudem fanden Bundestagswahlen statt, und zwölf Bezirksparlamente wurden neu gewählt. Die politische
Wahl wurde am Beginn einer neuen Welle der Corona-Pandemie abgehalten, zudem wurde in der Stadt der BerlinMarathon abgehalten.
Im Marathon-Stau
Folge dieses Zusammentreffens und schwerer Mängel in der Wahlvorbereitung, wie das Gericht nun urteilte, waren schon am Wahltag erkennbare schwere Probleme. Es fehlten Stimmzettel, die eilig nachkopiert wurden, auch weil Stimmzettelnachschub in den Verkehrsbehinderungen durch den Marathon stecken blieb; es gab zu wenig Wahlurnen und in der Folge die Schließung von Wahllokalen; vor den Stimmabgabestellen bildeten sich lange Schlangen, zum Teil stimmten Wähler erst nach Wahlschluss um 18 Uhr ab; Wahlprotokolle wurden lose in Pappkartons geworfen, Ergebnisse und Unterschriften fehlten da und dort.
Es seien die Grundsätze der Öffentlichkeit, Allgemeinheit und Gleichheit verletzt worden, urteilte das Verfassungsgericht, das die Wahlhelfer
Manuela Giffey (SPD) bei der Stimmabgabe – sie gewann. Heute liegt sie in Umfragen zurück
von jeder Schuld ausnahm. Diese hätten versucht, die Probleme zu lösen. Doch die Mängel in der Wahlvorbereitung seien zu schwerwiegend gewesen. Richterin Ludgera Selting sprach von einem einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik.
Bürgermeisterin im Tief
Nun müssen die Wahlen binnen 90 Tagen wiederholt werden, auch eine Wiederholung für die Wahl zum Bundestag ist nötig, allerdings nur für einen Teil der Berliner.
Die Berlin-Wahl im September 2021 hatte übrigens die SPD knapp vor den Grünen und der CDU gewonnen. Auf Bürgermeister Michael Müller (SPD) folgte die zur
Zukunftshoffnung der SPD stilisierte Manuela Giffey (SPD). Sie ging, obwohl sie vor der Wahl eine Präferenz für ein Ampelbündnis mit FDP und Grünen angedeutet hatte, eine Koalition mit den Grünen und der Linken ein. Jetzt liegt die Berliner Bürgermeisterin in Umfragen hinter Grünen und der Union nur noch auf Platz drei.
Wenn die Berliner auf Österreich schauen, wissen sie, worauf sie bei einer Wahlwiederholung aufpassen müssen: Der Termin bei der Bundespräsidentenwahl 2016 musste wegen fehlerhafter Briefwahlkuverts (Klebstoff!) auch noch abgesagt und verschoben werden. Es kann also immer noch dicker kommen.