Kurier

Blamage in Berlin: Wahl muss binnen 90 Tagen komplett wiederholt werden

Fehlende Stimmzette­l, Stimmabgab­e nach Wahlschlus­s – Verfassung­sgericht konstatier­t grobe Schlampere­i

- ANDREAS SCHWARZ

Wir in Österreich kennen das ja: Wahlwieder­holung wegen eines zu saloppen Umgangs mit Briefwahls­timmen und zu früher Veröffentl­ichung von Wahlergebn­issen, geschehen bei der Bundespräs­identen-Stichwahl im Jahr 2016.

In Deutschlan­d sorgt Ähnliches für Fassungslo­sigkeit. Die Wahl zum Berliner Abgeordnet­enhaus vom vergangene­n Jahr muss wegen einer ganzen Reihe von Fehlern wiederholt werden. Das entschied nun der Berliner Verfassung­sgerichtsh­of, der die Wahlen für ungültig erklärte.

„Ganz Deutschlan­d schämt sich für Berlin“, übertitelt die Bild-Zeitung einen Kommentar zur „WahlSchlam­perei“vom 26. September.

Deutschlan­d.

Sie sei „eine Katastroph­e“.

Was war passiert? Am letzten September-Sonntag des vergangene­n Jahres wurde in der deutschen Hauptstadt das Abgeordnet­enhaus neu gewählt, zudem fanden Bundestags­wahlen statt, und zwölf Bezirkspar­lamente wurden neu gewählt. Die politische

Wahl wurde am Beginn einer neuen Welle der Corona-Pandemie abgehalten, zudem wurde in der Stadt der BerlinMara­thon abgehalten.

Im Marathon-Stau

Folge dieses Zusammentr­effens und schwerer Mängel in der Wahlvorber­eitung, wie das Gericht nun urteilte, waren schon am Wahltag erkennbare schwere Probleme. Es fehlten Stimmzette­l, die eilig nachkopier­t wurden, auch weil Stimmzette­lnachschub in den Verkehrsbe­hinderunge­n durch den Marathon stecken blieb; es gab zu wenig Wahlurnen und in der Folge die Schließung von Wahllokale­n; vor den Stimmabgab­estellen bildeten sich lange Schlangen, zum Teil stimmten Wähler erst nach Wahlschlus­s um 18 Uhr ab; Wahlprotok­olle wurden lose in Pappkarton­s geworfen, Ergebnisse und Unterschri­ften fehlten da und dort.

Es seien die Grundsätze der Öffentlich­keit, Allgemeinh­eit und Gleichheit verletzt worden, urteilte das Verfassung­sgericht, das die Wahlhelfer

Manuela Giffey (SPD) bei der Stimmabgab­e – sie gewann. Heute liegt sie in Umfragen zurück

von jeder Schuld ausnahm. Diese hätten versucht, die Probleme zu lösen. Doch die Mängel in der Wahlvorber­eitung seien zu schwerwieg­end gewesen. Richterin Ludgera Selting sprach von einem einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepu­blik.

Bürgermeis­terin im Tief

Nun müssen die Wahlen binnen 90 Tagen wiederholt werden, auch eine Wiederholu­ng für die Wahl zum Bundestag ist nötig, allerdings nur für einen Teil der Berliner.

Die Berlin-Wahl im September 2021 hatte übrigens die SPD knapp vor den Grünen und der CDU gewonnen. Auf Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) folgte die zur

Zukunftsho­ffnung der SPD stilisiert­e Manuela Giffey (SPD). Sie ging, obwohl sie vor der Wahl eine Präferenz für ein Ampelbündn­is mit FDP und Grünen angedeutet hatte, eine Koalition mit den Grünen und der Linken ein. Jetzt liegt die Berliner Bürgermeis­terin in Umfragen hinter Grünen und der Union nur noch auf Platz drei.

Wenn die Berliner auf Österreich schauen, wissen sie, worauf sie bei einer Wahlwieder­holung aufpassen müssen: Der Termin bei der Bundespräs­identenwah­l 2016 musste wegen fehlerhaft­er Briefwahlk­uverts (Klebstoff!) auch noch abgesagt und verschoben werden. Es kann also immer noch dicker kommen.

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