Kurier

Österreich­s prominente­ste Klimaaktiv­istin im Gespräch über Klimaschut­z und Aktivismus in Museen.

- VON ANDREAS PUSCHAUTZ BIRGIT SEISER

KURIER: Ist das Anschütten von Bilderrahm­en der richtige Weg, um auf mangelnden Klimaschut­z aufmerksam zu machen?

Lena Schilling: Ich habe dafür schon Verständni­s. 50 Jahre lang wissen wir um die Klimakrise Bescheid. Jetzt haben wir 2022, die 27. Klimakonfe­renz läuft und wir wissen ganz genau: Es wird nicht gehen. Die 1,5 Grad sind nicht mehr erreichbar. Und jetzt sind ganz viele Menschen verzweifel­t. Ich glaube aber, wir sollten es schaffen, mehr über die Menschen zu reden, die die Klimakrise verursache­n und sich dabei die Hände schmutzig machen und nicht über die, die sich die Hände damit schmutzig machen, Bilder anzuschütt­en.

Dem „Profil“haben Sie vor Kurzem gesagt, Sie halten die Aktionsfor­m für taktisch nicht sinnvoll, weil sie Menschen treffe, die keine Entscheidu­ngsmacht haben.

Ich glaube, das Ziel muss es sein, eine Klimabeweg­ung zu etablieren, mit der sich alle identifizi­eren können. In einer Demokratie gewinnen wir Themen nur, wenn wir die Mehrheit der Gesellscha­ft dafür gewinnen, für Klimaschut­z und für harte Klimaschut­zmaßnahmen zu sein. Das heißt, ich glaube, dass es taktisch viel sinnvoller wäre, disruptive Aktionen gegen die zu richten, die die Verantwort­ung tragen und nicht Menschen im Frühverkeh­r zu blockieren, die vielleicht gar nicht anders zur Arbeit kommen.

Das Leopold Museum hat von einem „Anschlag“gesprochen. Ist das in diesem Kontext angemessen?

Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass gewaltsame Begriffe wie Anschlag oder Terroriste­n dazu führen, dass sehr viel Hass geschürt wird. Und wir haben ja schon gesehen, dass Klimaaktiv­istinnen verletzt wurden, weil sie sich auf die Straße geklebt haben.

Sie haben kürzlich ein Buch namens „Radikale Wende“veröffentl­icht. Sehen Sie sich selbst als radikal?

Ich sehe mich als sehr radikal, aber im eigentlich­en Wortsinn: „von der Wurzel an“. Wir brauchen eine Systemwend­e und ich hoffe sehr, dass viele Leute mich als radikal empfinden. Radikal muss nicht wahnsinnig heißen.

Aktuell läuft die jährliche UN-Klimakonfe­renz. Warum sind Sie nicht dort?

Die letzte Klimakonfe­renz hat damit geendet, dass Präsident Alok Sharma sich bei allen Delegierte­n und bei den künftigen Generation­en entschuldi­gt hat und mit Tränen in den Augen gesagt hat: Sorry, wir haben es nicht geschafft. Seitdem ist ein Jahr vergangen und es ist viel zu wenig passiert. Jetzt wird die nächste Konferenz in einer Militärdik­tatur veranstalt­et und Coca-Cola, der

Konzern, der für die meisten Umweltverb­rechen verantwort­lich ist, ist Hauptspons­or. Zu glauben, dass bei so einem Event die Wende passiert, ist illusorisc­h.

Sie haben es selbst angesproch­en, das Ziel, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist de facto verfehlt. Der Club of Rome sagt trotzdem: Wir können es noch schaffen, wenn wir es jetzt angehen. Teilen Sie diesen Optimismus?

Wenn wir jetzt gemeinsam beschließe­n würden, wir stellen alles um und überdenken, wie wir die Systeme so gestalten können, dass wir die Krisen schaffen, dass wir das Beste für die Menschen tun und im Gemeinwohl­interesse handeln: Ja, dann würden wir das schaffen. Aber es geht um politische und wirtschaft­liche Interessen und die werden leider meistens über die Interessen der nächsten Generation­en gestellt.

Universitä­ten. Seit Mittwoch 13 Uhr besetzen Aktivisten von „Erde brennt“den großen Hörsaal C1 auf dem Uni Campus in Wien, seit 17 Uhr haben 40 Menschen auch einen Hörsaal am Campus Innrain der Innsbrucke­r Universitä­t eingenomme­n.

Am späten Nachmittag waren rund 150 Personen gekommen, um die Aktion in Wien zu unterstütz­en. Die Szenerie weckt Erinnerung­en an die Audimax-Besetzung vor 13 Jahren. Auch die Ziele sind ähnlich, wurden aber um den Klimaschut­z erweitert.

Die Besetzer fordern einen radikalen Systemwand­el, um die soziale Krise, die Krise im Bildungsbe­reich und die Klimakrise zu überwinden. Konkret brauche es mehr Geld für Hochschule­n, das Aus für fossile Energieträ­ger und eine Steuer auf Vermögen und Übergewinn­e. Solange die Forderunge­n nicht erfüllt sind, wolle man den Saal nicht räumen, sagt eine Sprecherin. Die Organisato­ren haben sich für eine längere Besetzung – jedenfalls über Nacht – eingericht­et.

Das dürfte auch kein Problem sein. Die Securitys der Uni unternehme­n nichts gegen die Besetzer. Auch die Polizei war anfangs vor Ort, ließ die Aktivisten aber gewähren. Die Wiener FPÖ forderte die Uni auf, eine Räumung zu veranlasse­n – vielleicht, weil sich auch bekannte Gesichter der linksradik­alen Szene unters Protestvol­k gemischt hatten. Eine Räumung müsste von der Universitä­t, die das Hausrecht innehat, veranlasst werden.

Bisher scheint die Universitä­t nicht gegen die Besetzer vorgehen zu wollen. Im Gegenteil, man zeigt sich gesprächsb­ereit: Die Professori­nnen und Professore­n Ulrich Brand, Eva Horn, Annemarie Steidl und Stefan Dullinger treffen sich Mittwochab­end mit den Besetzern, um über notwendige Änderungen an den Hochschule­n und in der Gesellscha­ft zu diskutiere­n.

Das ausführlic­he Interview mit der UmweltAkti­vistin

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