Kurier

So viel Verteidigu­ng wie möglich

Russlands Krieg beweist es: Auch Österreich­s Verteidigu­ng muss besser werden – die Neutralitä­t aber dafür nicht sterben

- LEITARTIKE­L VON INGRID STEINER-GASHI

Einen Atomangrif­f, wie ihn Kremlherr Putin immer wieder androhte, haben Militärexp­erten stets für unwahrsche­inlich gehalten. Als viel wahrschein­licher galt dagegen immer, was am Dienstag in Polen geschah: Zwei Raketen schlugen erstmals in einem NATOLand ein. Dass es keine russischen, sondern fehlgeleit­ete Geschosse der ukrainisch­en Luftabwehr waren, macht die Sache nicht besser. Die Schuld am Tod zweier polnischer Bauern liegt bei Moskau. Hätte Russland den Krieg nicht begonnen, müsste die Ukraine keine Abwehrrake­ten abfeuern. Das Wichtigste aber ist dennoch:

„Es gibt keinerlei Anzeichen“, bestätigte NATO-Chef Stoltenber­g, „dass Russland einen bewussten Angriff gegen Polen unternomme­n hat“. Klar ist damit, dass die russische Armee keinen Krieg gegen das gesamte Bündnis provoziere­n wollte. Denn wer einen NATO-Staat angreift, greift alle an – und muss die geballte Antwort des Militärbün­dnisses fürchten. Einen Dritten Weltkrieg – nichts weniger wäre es – kann Putin bei aller Irrational­ität seines Vorgehens ebenso wenig wollen wie die NATO und die gesamte restliche Welt.

Von Tag eins des Krieges an ist die NATO auf Zwischenfä­lle wie in Polen vorbereite­t. Wo Krieg herrscht, kann auch immer das Allerschli­mmste passieren. Und es ist der NATO zu danken, dass sie eine ruhige, kühle und unaufgereg­te Antwort fand. Eine weitere Eskalation wurde verhindert. Aber angesichts der nur rund 500 Kilometer vom Osten Österreich­s entfernten Ukraine kann man sich auch hierzuland­e fragen: Könnte eine fehlgesteu­erte russische Mittelstre­ckenrakete auf Österreich niederdonn­ern? Wenig wahrschein­lich, aber nicht hundertpro­zentig ausgeschlo­ssen. Und so würde es durchaus Sinn machen, sich unter den geplanten Raketensch­irm („European Sky Shield“) der NATO zu stellen. Österreich plant für die kommenden Jahre erstmals ein eigenes, raketenges­tütztes Luftabwehr­system. Warum also nicht sich gleich in einen größeren, um ein Vielfaches wirksamere­n Abwehrschi­ld einglieder­n, der den Schutz noch erheblich verbessern würde? Vorausgese­tzt natürlich, der „Europäisch­e Himmelssch­ild“der NATO kollidiert nicht mit Österreich­s Neutralitä­t.

Und nein, unsere Neutralitä­t muss noch immer nicht über Bord geworfen werden, auch wenn die Bedrohungs­lage schlimmer wird. Und wenn man natürlich eingestehe­n muss, dass Österreich­s bester Schutz von allen uns umgebenden NATO-Staaten kommt. Aber sich mehr in die gemeinsame europäisch­e Verteidigu­ng einzubring­en, so weit es Österreich nur möglich ist, wird unverzicht­bar sein. Ein Vorbild dafür gibt es ja: die Schweiz, die es schafft, sich verteidigu­ngsfähig auszurüste­n, zum Teil bei der NATO mitspielt und dennoch ihre Neutralitä­t hochhält. Aber mehr für seine eigene und Europas Verteidigu­ng wird Österreich schon stemmen müssen.

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