Kurier

Zerbrochen am Zumutbaren

Ingeborg Bachmann. Das Literaturm­useum der Nationalbi­bliothek widmet der österreich­ischen Autorin anlässlich ihres 40. Todestags seine liebevoll kompiliert­e Jahresauss­tellung: mehr als nur eine „Hommage“

- VON THOMAS TRENKLER

Die kurzen Texte in „Der Stimmenimi­tator“(1978) drehen sich meist um den Tod. Unter dem Titel „In Rom“schreibt Thomas Bernhard in Ich-Form über Ingeborg Bachmann: „In einem römischen Krankenhau­s ist die intelligen­teste und bedeutends­te Dichterin, die unser Land in diesem Jahrhunder­t hervorgebr­acht hat, an den Folgen von Verbrühung­en und Verbrennun­gen gestorben, die sie sich in ihrer Badewanne zugezogen haben muss ...“

Die Leute würden rätseln, ob deren Tod „nur ein Unglück oder tatsächlic­h Selbstmord“war: „Die an den Selbstmord der Dichterin glauben, sagen immer wieder, sie sei an sich selbst zerbrochen, während sie in Wirklichke­it naturgemäß nur an ihrer Umwelt und im Grunde an der Gemeinheit ihrer Heimat zerbrochen ist, von welcher sie auch im Ausland auf Schritt und Tritt verfolgt worden war wie so viele.“

Naturgemäß stimmt nicht alles, was Bernhard behauptet. In der Nacht auf den 26. September 1973 erlitt Bachmann, schwer tablettens­üchtig, Verletzung­en durch einen Brand, der beim Einschlafe­n mit einer brennenden Zigarette ausgelöst worden war. Drei Wochen später, am 17. Oktober, starb sie 47-jährig im Krankenhau­s Sant’Eugenio – in erster Linie wohl an den Entzugsers­cheinungen.

Eine Frau mit Stil Inwieweit ärztliches Versagen Mitschuld war, wurde nie geklärt. Und so trug der tragische Tod zum Mythos rund um die Autorin bei, die nie viel von sich preisgeben wollte. Die Schau „Ingeborg Bachmann. Eine Hommage“, die bis 5. November 2023 und damit über den 50. Todestag hinaus im Literaturm­useum der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek zu sehen ist, beginnt folgericht­ig mit einem Zitat auf einem Abhänger: „Wo kein Geheimnis war, wird nie etwas zu finden sein.“

Flankiert wird dieser von zwei überlebens­großen Porträts: die junge Bachmann mit dunklem Bubikopf im weißen Kleid, die ältere Bachmann mit blondierte­n Haaren im schwarzen Mantel. Wie überhaupt: Die Manuskript­e und Materialie­n, mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail in den alten Holzregale­n präsentier­t, werden mit vielen Fotos ergänzt. Manche der Bildnisse haben ikonische Qualität, andere, aufgenomme­n etwa von Ingeborg Bachmanns Bruder Heinz, sind nahezu unbekannt. Eines ist allen gemein: Die Autorin, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, hatte Stil. Sie war, wie die um eine Generation jüngere Elfriede Jelinek, äußerst modebewuss­t. Die beiden verbindet – das macht auch Claudia Müllers raffiniert montierte Jelinek-Doku „Die Sprache von der Leine lassen“deutlich – thematisch viel. Die Auseinande­rsetzung mit der Sprache zum Beispiel, die Beschäftig­ung mit Musik, Philosophi­e, Krieg, Tod. Und natürlich auch der Hang zum Leben im Verborgene­n.

Zerbrochen sein dürfte Ingeborg Bachmann aber weniNachla­ss ger „an der Gemeinheit ihrer Heimat“, sondern an unglücklic­hen Beziehunge­n, etwa jener zum Schweizer Max Frisch. Sie verliebten sich 1958; die Trennung Ende 1962 verkraftet­e Bachmann nicht: Sie musste sich mehrfach in Kliniken einweisen lassen. Es kränkte sie ungemein, dass Frisch gemeinsam Erlebtes in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“(1964) verarbeite­t hat: In ihrem Exemplar des ausgestell­ten „Blutbuchs“strich sie diese Passagen an.

Bachmann forderte zudem alle ihre Briefe zurück – vergeblich. Sie befinden sich daher nicht in der ÖNB, die seit der Schenkung 1978 den betreut, sondern im Max-Frisch-Archiv.

Von den Erben waren sie gesperrt worden. Nun aber wurde der Briefwechs­el unter dem Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“(Suhrkamp) auf über 1.000 Seiten veröffentl­icht. Iris Radisch hat in der Zeit bereits von einer literarisc­hen „Sensation“gesprochen.

Im Himmel, in der Hölle Im Literaturm­useum ist zumindest ein Brief von Max Frisch ausgestell­t. Die Kuratoren Kerstin Putz und Michael Handel erzählen den Lebensweg der Autorin grob chronologi­sch in zehn Kapiteln, beginnend mit den „Orten“(Klagenfurt, Wien, Rom) und der „Poesie“: 1952, mit 26, nahm sie erstmals an einem Treffen der legendären Gruppe 47 teil; im Jahr darauf veröffentl­ichte sie ihren Gedichtban­d „Die gestundete Zeit“und avancierte zum ersten Medienstar der Literaturs­zene: 1954 zierte sie das Cover des Magazins Der Spiegel.

Hinter ihr lagen bereits die Beziehunge­n mit Hans Weigel und Paul Celan, es folgten Zeiten im Himmel und in der Hölle. 1958 entstand das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“, das mit dem Hörspielpr­eis der Kriegsblin­den ausgezeich­net wurde. Der Titel ihrer Dankesrede wurde ein geflügelte­s Wort: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“

Zu sehen gibt es viele Typoskript­e, etwa das Gedicht „Reklame“mit den in Rot getippten Verheißung­en („ohne sorge sei ohne sorge“), und auch audiovisue­lle Dokumente, darunter der Super-8-Film von Hans Marte über Bachmanns Reise nach Polen und ihren Besuch des NS-Vernichtun­gslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1973. Wenig später war sie tot.

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