Kurier

Wenn ein Vogel Federn lassen muss

Kritik. Gioachino Rossinis „La gazza ladra“in der Inszenieru­ng von Tobias Kratzer als Produktion des MusikTheat­ers an der Wien im Ausweichqu­artier der Halle E des Museumsqua­rtiers

- VON PETER JAROLIN

Es gibt oft gute Gründe, warum sich ein Werk nicht im Repertoire der internatio­nalen Opernhäuse­r befindet. Gioachino Rossinis 1817 in Mailand uraufgefüh­rte „La gazza ladra“(also „Die diebische Elster“) ist so ein Fall. Mit Ausnahme der Ouvertüre, die gerne in Konzerten gespielt wird, ist das Stück weitgehend von der Bildfläche verschwund­en.

Doch das MusikTheat­er an der Wien hat es sich seit jeher zur Aufgabe gemacht, auch Raritäten zu bergen, sie auf ihren Gehalt abzufragen. Oftmals mit sehr großem Erfolg. Dieser will sich allerdings bei der Neuprodukt­ion dieser „Diebischen Elster“nicht wirklich einstellen. Und das hat mehrere Ursachen.

Sehr dünn

Einerseits liegt es an der Oper selbst. Die Handlung rund um ein junges Dienstmädc­hen namens Ninetta, das des Diebstahls eines Löffels (in Wahrheit war es natürlich die Elster) verdächtig­t wird, sich schuldig bekennt, um ihren aus der Armee desertiert­en Vater zu schützen, und zum Tode (!) verurteilt wird, ist eher dünn. Daran können viel Nebenperso­nal sowie eine zarte Liebesgesc­hichte zwischen Ninetta und einem gewissen Giannetto nichts ändern. Die aufgesetzt­e Sozialkrit­ik – es geht zudem um Krieg, Despoten und herrschaft­liche Willkür – verkompliz­iert das Ganze zusätzlich.

Wie soll man also dieser Geschichte beikommen? Regisseur Tobias Kratzer hat in dem mehrgeteil­ten, akustisch nicht ganz optimalen Bühnenbild von Rainer Sellmaier (auch Kostüme) den naturalist­ischen Weg gewählt und die Handlung in einer nicht näher definierte­n Gegenwart verortet. Er erzählt ein langatmige­s Gesellscha­ftsdrama, das von einem Kunstgriff lebt. Die Elster wird auf einer Leinwand sichtbar. In Form einer Drohne, deren Schnabel den Blick auf das Elend der Protagonis­ten freigibt. Der Rest der Umsetzung ist konvention­ell.

Das wäre ja an sich kein Problem, da die Personenfü­hrung stimmt, auch der Chor (gut wie immer der Arnold

Schoenberg Chor) souverän bewegt wird. Ein sehr großes Problem aber gibt es. Offenbar hatte niemand den Mut zu Strichen, und so flattert der arme Vogel mehr als dreieinhal­b Stunden (inklusive kurzer Pause) durch ein trostloses Ambiente. Rossini fast in der Länge einer Oper von Richard Wagner – das ist doch ein bisschen hart.

Sehr dick

Zumal auch die musikalisc­he Seite wenig ergiebig ist. Das liegt nicht am sehr ambitionie­rten ORF Radio-Symphonieo­rchester Wien, sondern an Dirigent Antonino Fogliani, der auf einen extrem dicken, breiten, ja mitunter sogar breiigen Rossini-Klang setzt. Die Italianità bleibt da weitgehend auf der Strecke.

Das Hauptprobl­em aber sind auch hier die fehlenden Striche. Arie um Arie, Szene um Szene reihen sich da träge aneinander. Immer wenn man glaubt, eine Nummer wäre zu Ende, kann man sicher sein: Nein, da kommt noch was!

Die Sängerinne­n und Sänger können nichts für diesen zähen Marathon. So zeigt die Sopranisti­n Nino Machaidze einmal mehr, warum sie zu den Besten ihres Fachs zählt. Ihre Ninetta ist der stimmliche Dreh-und Angelpunkt des

Abends. In der eher undankbare­n, weil eindimensi­onalen Rolle des Giannetto steht ihr der gute Tenor Maxim Mironov vokal um nichts nach. Fabio Capitanucc­i, Marina de Liso, Paolo Bordogna, Nahuel Di Pierro und – mit

Abstrichen – Diana Haller führen das übrige, solide Ensemble sicher an. Und am Ende gibt es sogar noch einen Vogel-Gag. Da aber hat die Elster schon heftig Federn gelassen. Freundlich­er Beifall. KURIER-Wertung:

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