Kurier

Die Europäisch­e Union lässt den EU-Sünder Polen nicht vom Haken

Warschau trägt zwar eine große Ukraine-Flüchtling­slast, wettert aber gegen Brüssel und erfüllt Auflagen nicht

- JENS MATTERN, WARSCHAU INGRID STEINER-GASHI, BRÜSSEL

Konflikt. Als vergangene Woche in Przewodow in Ostpolen zwei Raketen einschluge­n, forderte der Krieg in der Ukraine erstmals zwei Todesopfer in einem NATO-Staat. Die USA und die NATO hielten sich mit Schuldzuwe­isungen, anders als die Ukraine, auffallend und, wie sich bald erwies, zurecht zurück. Und Polens Premiermin­ister Mateusz Morawiecki und Staatspräs­ident Andrzej Duda? Sie verhängten eine Nachrichte­nsperre, trafen den Krisenrat und setzten sich danach mit der Regierung zusammen. Eine ebenfalls bewusst zurückhalt­ende Reaktion, ganz im Sinne eines verlässlic­hen Bündnispar­tners.

Diese steht im Kontrast zu Polens Auseinande­rsetzungen

mit Brüssel um die mangelnde Rechtsstaa­tlichkeit an der Weichsel. Duda nennt die EU eine „Scheingeme­inschaft“. Sie sei eine „transnatio­nale Bestie“, meint Morawiecki, der der EU-Kommission vorwirft, einen „Dritten Weltkrieg“gegen Polen zu entfachen. Ein leichtfert­ig gebrauchte­r Vergleich, denn auf der anderen Seite steht Polen derzeit wirklich am Rande eines Konflikts mit dem unberechen­baren Nachbarn Russland, bei dem höchste Vorsicht geboten ist.

Diese klassische Sicherheit­spolitik interessie­rt den wichtigste­n polnischen Entscheidu­ngsträger Jaroslaw Kaczynski hingegen nicht.

Der Gründer und Chef der regierende­n Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) hat seinen Fokus auf die Innenpolit­ik gelegt. Er strebt nach wie vor die Umgestaltu­ng des polnischen Rechtssyst­ems an, sprich mehr Kontrolle des Staates und eine Art konservati­ve Umgestaltu­ng der Gesellscha­ft.

Da ihm Brüssel hier mit Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren und der Verweigeru­ng von Geldern in die innenpolit­ische Parade fährt, lässt der 71-jährige Doktor der Rechte das Feindbild EU bedienen.

Pause bei Sanktionen

Und Brüssel? Dort hat man sich wegen Polens großzügige­r Hilfe für die ukrainisch­en Flüchtling­e bisher mit Sanktionen

zurückgeha­lten. Doch die Taten des Rechtsstaa­tssünders Polen sind in Brüssel nicht verziehen. Die EU-Kommission droht nun damit, Strukturmi­ttel für Polen zurückzuha­lten – das könnten insgesamt bis zu 75 Milliarden Euro sein. Zudem hält die EU noch 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufb­aufonds für Warschau zurück, weil Polen beim Justizabba­u nicht zurückrude­rt.

Die Milliarden werden erst fließen, „wenn es eine zufriedens­tellende Lösung gibt“, heißt es vonseiten der EUKommissi­on. Und diese Lösung sieht vor: Vor allem die Disziplina­rkammer muss wieder völlig unabhängig werden, sodass die Politik nicht mehr in die Bestellung von Richtern hineinbefe­hlen kann. Doch genau dabei will sich die regierende „PiS“-Partei nicht von Brüssel dreinreden lassen.

Auch das Drängen auf Aufnahme von Flüchtling­en aus dem Nahen Osten wird als Einmischun­g in die polnische Innenpolit­ik empfunden. Rund 60 Prozent der fast ausschließ­lich katholisch­en Bevölkerun­g lehnen es ab, ihnen die gleiche Hilfe zukommen zu lassen wie Flüchtling­en aus der Ukraine. Eine genaue Zahl zu ukrainisch­en Staatsbürg­ern in Polen gibt es nicht, es haben jedoch bereits rund 1,4 Millionen einen Ausweis für einen verlängert­en Aufenthalt bekommen.

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