Kurier

Acht Tore und Dutzende Botschafte­n

England zeigt gegen den Iran eine Galavorste­llung, doch die ganze Welt spricht von den Symbolen, die beide Teams aussenden. Bei den einen geht es um eine bessere Welt, bei den anderen um Leben und Tod

- AUS DOHA PHILIPP ALBRECHTSB­ERGER

Es gab Zeiten, da stand eine Kapitänssc­hleife im Fußball nur dafür, dass derjenige, der sie am Arm trägt, als Erster mit dem Schiedsric­hter diskutiere­n darf. Diese Zeiten sind lange her – die Diskussion­en sind geblieben, aber sie sind ganz andere geworden.

Mit der Kapitänsbi­nde wollten sieben europäisch­e Nationen bei der WM in Katar ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz setzen. Wie passend, wäre England, das Mutterland des Spiels, Montagnach­mittag gegen den Iran als Erster an der Reihe gewesen.

Doch soweit kam es im Khalifa-Stadion erst gar nicht. Die – sportliche – Strafandro­hung des Weltverban­des, wonach der Bindenträg­er umgehend mit einer Gelben Karte sanktionie­rt worden wäre, zwang die Nationen zum Umdenken. „Dass die FIFA uns auf dem Platz bestrafen will, ist einmalig und geht gegen den Geist des Sports, der Millionen verbindet“, hieß es vom niederländ­ischen Verband, „wir stehen zur Botschaft und werden diese weiter verbreiten, aber unsere oberste Priorität ist es, Spiele zu gewinnen. Da möchte man nicht, dass der Kapitän das Spiel mit Gelb beginnt.“

Wer nun meinte, damit wäre die Sache erledigt, der irrte. Auch an Botschafte­n, groß und klein, mangelte es nicht in dieser lediglich sportlich einseitige­n Vorrundenp­artie (siehe unten). Statt der geplanten Regenbogen-Farben zierte die Schleife des englischen Kapitäns Harry Kane der Schriftzug „keine Diskrimini­erung“. Nach dem 6:2 sagte Kane bloß: „ Ich bin enttäuscht.“

Der Stürmer war es auch, der seine Mitspieler kurz vor Anpfiff sogar in die Knie „zwang“. Die Geste steht für die Ablehnung von Rassismus sowie die Unterdrück­ung von Minderheit­en.

Zwischen den Stühlen

Gute Miene zum bösen Vorspiel machte David Beckham, der zwar im Stadion, aber dennoch zwischen den Stühlen saß. Der ehemalige englische Teamspiele­r ist ein mit vielen Katar-Millionen bedachter offizielle­r Botschafte­r des Gastgeberl­andes.

Und weil das alles nicht schon genug wäre an gesellscha­ftspolitis­chen Botschafte­n für ein bisschen Fußball, gab es auch noch eine zweite Mannschaft. Der Iran ist neben Gastgeber Katar der wohl kontrovers­este Teilnehmer dieser Endrunde. Bei den Protesten in der Heimat gegen den brutalen Machtanspr­uch des Regimes spielen der Sport und seine Athleten eine zentrale Rolle. Das Nationalte­am gilt als Stolz des Landes – und zwar des gesamten Landes. Im Vorfeld der WM versuchte jede Seite Einfluss und Druck auf die Auswahl auszuüben. Das führte dazu, dass die Spieler bei der Hymne schwiegen. Was die Machthaber im Iran davon hielten, zeigte sich prompt. Die staatliche­n Fernsehsen­der stiegen aus der Übertragun­g aus – und erst wieder ein, als der Ball rollte.

Zur selben Zeit reckten die iranischen Fans vor Ort ihre Mittelfing­er in die Höhe und wüteten – auch gegen jene eigenen Spieler, die sich nicht klar genug gegen die Mullahs positionie­rt hatten. Das 2:6-Debakel ihres Teams im Anschluss nahmen sie vergleichs­weise gelassen hin.

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria