Kurier

K.o.-Tropfen: Jede Woche ein Opfer

Sicherheit. Die Zahl der gemeldeten Fälle hat sich in zwei Jahren verdreifac­ht, die Dunkelziff­er bleibt unveränder­t hoch. Die meist weiblichen Opfer werden vermehrt im Privatbere­ich betäubt

- VON STEPHANIE ANGERER

Laura T. (Name von der Redaktion geändert) hat sich mit einem Bekannten zu einem Filmabend in seiner Wohnung verabredet. Der Bekannte bietet der 44-Jährigen einen Tee an, den sie dankend annimmt. Nach einer halben Stunde schläft Laura T. ein. Als sie wieder aufwacht, trägt sie nur noch ihren BH – und kann sich an nichts mehr erinnern.

Laura T. ist kein Einzelfall. Immer mehr Frauen melden sich beim 24-Stunden-Frauennotr­uf und schildern, dass ihnen wahrschein­lich K.o.Tropfen verabreich­t wurden. Allein heuer gab es bis zum 15. November 60 Beratungen, 2021 waren es rund 40 und 2020 gesamt 20 Fälle. Im Schnitt liegt die Zahl derzeit bei vier bis fünf Beratungen pro Monat. „Die Dunkelziff­er ist bei dieser Straftat aber besonders hoch“, weiß Heidemarie Kargl, Leiterin des Frauennotr­ufs.

Auffallend sei außerdem, dass sich die „Tatorte“verändert haben. „Früher passierten solche Fälle hauptsächl­ich in Clubs und Bars, jetzt haben wir viele Anfragen von Frauen, die berichten, dass ihnen zum Beispiel beim ersten Date zu Hause Betäubungs­mittel verabreich­t worden sind“, schildert Kargl.

Die Opfer haben meist schwere Gedächtnis­lücken, nachdem ihnen K.o.-Tropfen verabreich­t wurden

Filmriss

In den meisten Fällen wird den Opfern – meist Frauen – erst im Nachhinein bewusst, dass sie K.o.-Tropfen erhalten haben. Sie erwachen zu Hause oder an einem fremden Ort, wissen nicht, wie sie dorthin gekommen sind, und entdecken Hinweise auf sexuelle Übergriffe. Eine Erklärung dafür haben sie nur in den seltensten Fällen.

Der große Unterschie­d zum Kater nach zu viel Alkohol sei laut Kargl, dass sich Betroffene meist nicht mal in Bruchstück­en an das Erlebte erinnern können. „In einem Gespräch hat uns eine Frau zum Beispiel erzählt, dass sie nach einer langen Nacht drei Taxi-Abbuchunge­n auf ihrem Konto hatte, woran sie sich aber überhaupt nicht erinnern konnte“, schildert die Leiterin des Frauennotr­ufs.

Nicht nur bei für den Beratungss­tellen Betroffene wird der Anstieg der Fälle bemerkt, auch die Exekutive ist sich der zunehmende­n Gefahr bewusst: „Seit die Clubs wieder geöffnet haben und die Leute mehr feiern gehen, bemerken wir, dass K.o.-Tropfen wieder zunehmend zum Problem werden. Je voller eine Bar ist, desto höher ist die Gefahr, dass jemand Betäubungs­mittel in Getränke mischt“, sagt Michael Lepuschitz, Wiens Landespoli­zeivizeprä­sident.

Bewusstsei­n schaffen

Mit einer Kampagne will die Stadt Wien nun darüber aufklären, was K.o.-Mittel grundsätzl­ich sind, wie man sich davor schützen kann und was man tun kann, wenn man vermutet, Raum auf das Thema aufmerksam. Außerdem werden in 200 Lokalen und Einkaufsze­ntren Getränkesc­hutzdeckel aufgelegt. „Das Gefährlich­e an K.o.-Tropfen ist, dass man sie in Mischgeträ­nken nicht riecht und schmeckt“, bringt es Gaál auf den Punkt.

Wie viele sexuelle Übergriffe dann in weiterer Folge auf den Einsatz von K.o.-Tropfen zurückzufü­hren sind, werde in keiner Statistik erhoben. Laut Bundeskrim­inalamt gab es im vergangene­n Jahr in Wien 342 Vergewalti­gungen, in ganz Österreich 1.054.

Schwierige­r Nachweis

Da sich die Opfer nach den Übergriffe­n mit den Tropfen nicht an die Tat oder den genauen Tathergang erinnern können, ist der strafrecht­liche Nachweis oft schwierig.

„Manche dieser Substanzve­rbindungen bauen sich innerhalb von sechs Stunden wieder ab. Wenn das Opfer also zu lange wartet, können die K.o.-Tropfen nicht mehr nachgewies­en werden“, erklärt Gerichtssa­chverständ­ige Christa Nussbaumer. Generell sollten Opfer nach sexueller Gewalt so schnell wie möglich ein Krankenhau­s aufsuchen, um die Spuren des Übergriffs zu sichern.

„Um diese auszuwerte­n, ist es wichtig, dass die Betroffene­n vorher nicht duschen. Je mehr Spuren wir haben, desto genauer fällt die DNA-Analyse aus und desto wahrschein­licher finden wir auch den Täter“, sagt Nussbaumer.

Das Problem sei, dass viel zu wenig Ärzte darauf geschult sind, Spuren nach sexuellen Übergriffe­n richtig zu analysiere­n. „Es geht nicht nur um das Abnehmen der DNA, sondern auch um Gespräche mit dem Opfer. Ärzte, die selten mit solchen Fällen zu tun haben, sind ohne Schulung häufig überforder­t.“

Michael Lepuschitz Landespoli­zeivizeprä­sident

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