K.o.-Tropfen: Jede Woche ein Opfer
Sicherheit. Die Zahl der gemeldeten Fälle hat sich in zwei Jahren verdreifacht, die Dunkelziffer bleibt unverändert hoch. Die meist weiblichen Opfer werden vermehrt im Privatbereich betäubt
Laura T. (Name von der Redaktion geändert) hat sich mit einem Bekannten zu einem Filmabend in seiner Wohnung verabredet. Der Bekannte bietet der 44-Jährigen einen Tee an, den sie dankend annimmt. Nach einer halben Stunde schläft Laura T. ein. Als sie wieder aufwacht, trägt sie nur noch ihren BH – und kann sich an nichts mehr erinnern.
Laura T. ist kein Einzelfall. Immer mehr Frauen melden sich beim 24-Stunden-Frauennotruf und schildern, dass ihnen wahrscheinlich K.o.Tropfen verabreicht wurden. Allein heuer gab es bis zum 15. November 60 Beratungen, 2021 waren es rund 40 und 2020 gesamt 20 Fälle. Im Schnitt liegt die Zahl derzeit bei vier bis fünf Beratungen pro Monat. „Die Dunkelziffer ist bei dieser Straftat aber besonders hoch“, weiß Heidemarie Kargl, Leiterin des Frauennotrufs.
Auffallend sei außerdem, dass sich die „Tatorte“verändert haben. „Früher passierten solche Fälle hauptsächlich in Clubs und Bars, jetzt haben wir viele Anfragen von Frauen, die berichten, dass ihnen zum Beispiel beim ersten Date zu Hause Betäubungsmittel verabreicht worden sind“, schildert Kargl.
Die Opfer haben meist schwere Gedächtnislücken, nachdem ihnen K.o.-Tropfen verabreicht wurden
Filmriss
In den meisten Fällen wird den Opfern – meist Frauen – erst im Nachhinein bewusst, dass sie K.o.-Tropfen erhalten haben. Sie erwachen zu Hause oder an einem fremden Ort, wissen nicht, wie sie dorthin gekommen sind, und entdecken Hinweise auf sexuelle Übergriffe. Eine Erklärung dafür haben sie nur in den seltensten Fällen.
Der große Unterschied zum Kater nach zu viel Alkohol sei laut Kargl, dass sich Betroffene meist nicht mal in Bruchstücken an das Erlebte erinnern können. „In einem Gespräch hat uns eine Frau zum Beispiel erzählt, dass sie nach einer langen Nacht drei Taxi-Abbuchungen auf ihrem Konto hatte, woran sie sich aber überhaupt nicht erinnern konnte“, schildert die Leiterin des Frauennotrufs.
Nicht nur bei für den Beratungsstellen Betroffene wird der Anstieg der Fälle bemerkt, auch die Exekutive ist sich der zunehmenden Gefahr bewusst: „Seit die Clubs wieder geöffnet haben und die Leute mehr feiern gehen, bemerken wir, dass K.o.-Tropfen wieder zunehmend zum Problem werden. Je voller eine Bar ist, desto höher ist die Gefahr, dass jemand Betäubungsmittel in Getränke mischt“, sagt Michael Lepuschitz, Wiens Landespolizeivizepräsident.
Bewusstsein schaffen
Mit einer Kampagne will die Stadt Wien nun darüber aufklären, was K.o.-Mittel grundsätzlich sind, wie man sich davor schützen kann und was man tun kann, wenn man vermutet, Raum auf das Thema aufmerksam. Außerdem werden in 200 Lokalen und Einkaufszentren Getränkeschutzdeckel aufgelegt. „Das Gefährliche an K.o.-Tropfen ist, dass man sie in Mischgetränken nicht riecht und schmeckt“, bringt es Gaál auf den Punkt.
Wie viele sexuelle Übergriffe dann in weiterer Folge auf den Einsatz von K.o.-Tropfen zurückzuführen sind, werde in keiner Statistik erhoben. Laut Bundeskriminalamt gab es im vergangenen Jahr in Wien 342 Vergewaltigungen, in ganz Österreich 1.054.
Schwieriger Nachweis
Da sich die Opfer nach den Übergriffen mit den Tropfen nicht an die Tat oder den genauen Tathergang erinnern können, ist der strafrechtliche Nachweis oft schwierig.
„Manche dieser Substanzverbindungen bauen sich innerhalb von sechs Stunden wieder ab. Wenn das Opfer also zu lange wartet, können die K.o.-Tropfen nicht mehr nachgewiesen werden“, erklärt Gerichtssachverständige Christa Nussbaumer. Generell sollten Opfer nach sexueller Gewalt so schnell wie möglich ein Krankenhaus aufsuchen, um die Spuren des Übergriffs zu sichern.
„Um diese auszuwerten, ist es wichtig, dass die Betroffenen vorher nicht duschen. Je mehr Spuren wir haben, desto genauer fällt die DNA-Analyse aus und desto wahrscheinlicher finden wir auch den Täter“, sagt Nussbaumer.
Das Problem sei, dass viel zu wenig Ärzte darauf geschult sind, Spuren nach sexuellen Übergriffen richtig zu analysieren. „Es geht nicht nur um das Abnehmen der DNA, sondern auch um Gespräche mit dem Opfer. Ärzte, die selten mit solchen Fällen zu tun haben, sind ohne Schulung häufig überfordert.“
Michael Lepuschitz Landespolizeivizepräsident