Kurier

Das Spiel mit der Eskalation: Der serbisch-kosovarisc­he Nummerntaf­el-Streit

- SARAH EMMINGER

Kompromiss. „Wir haben einen Deal!“, freute sich EUAußenbea­uftragter Josep Borrell am Mittwochab­end. Der Kosovo und Serbien hätten sich unter EU-Vermittlun­g darauf geeinigt, eine „weitere Eskalation zu vermeiden“. In der Einigung geht es um ein Thema, über das monatelang gestritten wurde und das sich erst einmal banal anhört: Nummerntaf­eln.

Der kosovarisc­he Premiermin­ister Albin Kurti hatte darauf gedrängt, dass alle serbischen Auto-Kennzeiche­n im Kosovo durch kosovarisc­he ausgetausc­ht werden. Die dortigen Serben, die etwa sechs Prozent der Gesamtbevö­lkerung ausmachen und vor allem im Norden leben, protestier­ten dagegen – mit

Unterstütz­ung des serbischen Präsidente­n Aleksandar Vučić, der den Kosovo nach wie vor nicht als eigenständ­ig anerkennt, obwohl Serbien das Gebiet seit 2008 de facto nicht mehr kontrollie­rt.

Im Sommer blockierte­n die Kosovo-Serben die Grenzüberg­änge zu Serbien, nachdem die kosovarisc­he Regierung die Gültigkeit serbischer Nummerntaf­eln erstmals infrage gestellt hatte. Anfang November spitzte sich die Lage noch einmal zu, als die Serben sich aus den Staatsinst­itutionen zurückzoge­n.

Nun haben sich beide Seiten darauf geeinigt, dass Serbien keine neuen Nummerntaf­eln für den Kosovo mehr ausgeben darf. Alte Kennzeiche­n dürfen aber vorerst behalten werden und müssen nicht ausgetausc­ht werden.

Darum geht es eigentlich In diesem Streit geht es aber um viel mehr als die Nummerntaf­eln. „Sie sind Symbole für die Staatlichk­eit“, erklärt Südosteuro­pa-Experte Florian Bieber von der Universitä­t Graz. Kurti wolle damit

Nach dem Zerfall Jugoslawie­ns war der Kosovo eine Teilrepubl­ik Serbiens. 2008 erklärte er sich einseitig für unabhängig. Serbien erkennt ihn nach wie vor nicht als eigenen Staat an – wie etwa auch China, Russland und fünf EU-Länder

signalisie­ren, dass auch der Norden zum Kosovo gehöre. Bieber zufolge konnte Vučić mit der neuen Einigung einen größeren Erfolg erzielen als Kurti. Warum? Da die serbischen Nummerntaf­eln zunächst beibehalte­n werden können, würde sich die Umsetzung der kosovarisc­hen Forderung letztlich ziehen:

„Ich meine, wie viele Leute kaufen sich neue Autos? Aus Protest könnten einige Serben ihre Autos länger behalten“, vermutet der Experte.

Der Kompromiss ist laut Bieber eine Deeskalati­on, aber noch kein Durchbruch in der langfristi­gen Beziehung zwischen Serbien und dem Kosovo: „Diese Einigung war die Bedingung, um den nächsten Schritt zu machen.“

Der nächste Schritt, das soll ein noch nicht öffentlich bekanntes Papier sein – eine Verhandlun­gsgrundlag­e, vorgeschla­gen von Deutschlan­d und Frankreich, in der Serbien den Kosovo zwar nicht offiziell anerkennen, aber Beziehunge­n zu ihm aufbauen würde. Als Gegenleist­ung könnte es für beide Seiten EUGelder

geben.

Auch an der EU selbst wurde im Nummerntaf­elStreit Kritik geübt, denn die Chefvermit­tler Josep Borrell und Miroslav Lajčák stammen aus Spanien und der Slowakei – beides Länder, die den Kosovo nicht anerkennen. Im Kosovo sehe man die beiden daher als nicht neutral.

An einer gewaltsame­n Eskalation sei weder Serbien noch der Kosovo interessie­rt, so Bieber. Schließlic­h stehe der Kosovo noch immer unter NATO-Schutz: „Die Kosten wären zu hoch, es geht eher um ein Spiel mit der Eskalation.“Dass die Kontrolle darüber irgendwann entgleiten könne, hält Bieber aber durchaus für denkbar.

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