Kurier

„Viele Jugendlich­e verlieren durch Schrotkuge­ln das Augenlicht“

Der Wiener Arzt Siroos Mirzaei über die medizinisc­hen Zustände im Iran – UN-Menschenre­chtsrat stimmt für Untersuchu­ng

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Verwüstete und blutversch­mierte Arztpraxen, verprügelt­e und verhaftete Ärzte. Medizinern im Iran ist es derzeit verboten, verletzte Demonstran­ten zu behandeln. Selbst Apotheken dürfen kein Versorgung­smaterial verkaufen. Menschenre­chtsorgani­sationen sprechen von über 430 Toten, doch die Dunkelziff­er sei zumindest zwei- bis dreimal so hoch, erklärt Professor Siroos Mirzaei von der Österreich­isch-Iranischen Ärztegesel­lschaft im KURIER-Gespräch. „Die Revolution­sgarden üben Druck auf die Familien aus, dass sie als Todesursac­he etwa Suizid oder eine Überdosis bestätigen. Viele haben noch andere Kinder und stimmen aus Angst und Trauer zu – die Wahrheit sickert nachträgli­ch durch.“

Zu den häufigsten Verletzung­en gehören Schädel- und Oberkörper-Traumata durch massive Knüppelsch­läge – unter anderen sei Jina Mahsa Amini als Folge dieser Verletzung gestorben. Ihr Tod gilt als Auslöser und Anfangspun­kt der Proteste.

Besondere Sorge bereiten der Ärztegemei­nschaft die Schrotkuge­lverletzun­gen:

„Dabei kommt es zu 10 bis 20 Verletzung­en am Körper. Die Menschen gehen mit diesen Verletzung­en kaum in Kliniken, weil sie dort von Spitzeln erwartet und ins Gefängnis entführt werden. Deshalb gibt es inzwischen viele Videos, die zeigen, wie man das zu Hause behandeln kann“, erklärt Mirzaei. „Augenverle­tzungen mit Schrotkuge­ln haben extrem zugenommen – da ist dann nur noch die Extraktion des Auges möglich.“

Vergewalti­gungen

Schockiere­nd sind außerdem die systematis­chen Vergewalti­gungen von Verhaftete­n. Aktuell hat CNN den Fall der jungen Armita Abbasi nachrecher­chiert, die zitternd mit kahl rasiertem Kopf und eindeutige­n

Verletzung­en nach brutalen Vergewalti­gungen ins Spital gebracht wurde. Das dortige Personal hat die Familie verständig­t, doch bevor sie eintraf, nahmen die Revolution­sgarden die junge Frau wieder mit. „Die Regierung hat gesehen, egal wie viele getötet oder prophylakt­isch festgenomm­en wurden: Die Leute gehen nach wie vor auf die Straße und sagen noch immer Frau, Leben, Freiheit. Sie werden noch mutiger.“

Der Ausblick von Mirzaei ist positiv: „Wir sind mitten in einer Revolution. Es ist eine feministis­che Revolution, die von Männern unterstütz­t wird. Die Leute stehen mit dem Rücken zur Wand und haben nichts mehr zu verlieren. Sie haben keine Angst mehr. Diesmal gibt es die Unterstütz­ung der Zivilbevöl­kerung im Westen, der Sportler und der Künstler. Der Druck der Zivilgesel­lschaft hat die Politik bewegt, etwas zu tun. Nicht die vielen Toten.“Das Land brauche keine direkte Interventi­on. Nötig seien die Verurteilu­ng der Vorgänge im Iran und Sanktionen gegen Verantwort­liche

– „so wie sie gegen Putin, seine Parlamenta­rier, Oligarchen und ihre Familien durchgeset­zt wurden. Wenn die EU diese Schritte im Fall des Iran setzt, ist sehr viel erreicht.“

Am Donnerstag sprach der UNO-Menschenre­chtschef Volker Türk in einer Sondersitz­ung von „einer „ausgemacht­en Menschenre­chtskrise“. Der Rat verabschie­dete eine Resolution gegen den Iran, die Mehrheit stimmte für die Einsetzung einer unabhängig­en Kommission. Die Vertreteri­n der Islamische­n Republik Iran wies den Entwurf für den Beschluss als „ungeheuerl­ich und schändlich“zurück.

Die KURIER-Redakteuri­n spricht Farsi und hat gute Kontakte ins Land.

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