Drei Vergewaltigungen pro Tag
Sexual-Delikte. Die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen hat in Österreich im Vorjahr die 1.000er-Marke überschritten. Polizei und Opferschutz sind mit Herausforderungen konfrontiert – wie Täter-Opfer-Umkehr
16 Tage. So lange wird ab heute wieder auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. Im Büro von Dietmar Berger, stellvertretender Ermittlungschef des Landeskriminalamts Wien, ist die Bekämpfung von Gewalt an Frauen Alltag. An 365 Tagen im Jahr.
Polizist Berger kennt die Hintergründe von Fällen, die öffentlich meist kurz für Entsetzen sorgen, um dann in Vergessenheit zu geraten, bis wieder etwas passiert und das Entsetzen erneut anhebt.
Es sind Fälle wie jener einer Elf- und Vierzehnjährigen, die vor zwei Wochen in einer Wohnung in WienMeidling vergewaltigt worden sein sollen. Sprechen darf Berger darüber nicht.
Flüchtige Spuren
Der 48-Jährige erzählt anderes, während er Kaffee in den blauen Tassen mit den weißen Verzierungen serviert. Etwa über jene Liste, die im Landeskriminalamt aufliegt. „Darauf finden sich jene weiblichen, besonders geschulten Kriminalbeamtinnen, die für die Opfer zur Verfügung stehen, wenn es zu einer Vergewaltigung kommt“, erzählt er.
Denn kommt es in Österreich zu einer Vergewaltigung, spricht das Opfer nur mit einer weiblichen Kriminalbeamtin. So sehen es die Opferrechte vor.
Einfühlsam sei die Befragung, sagt Berger, das Opfer werde auch auf dem Weg ins Spital zur Sicherstellung der Spuren nie alleine gelassen.
Falls es diese Spuren noch gibt. Denn es sei ein reflexartiges Verhalten nach Sexualdelikten, dass sich die meist weiblichen Opfer waschen wollen – aus kriminaltechnischer Sicht verheerend. „Die Spuren bei Sexualdelikten sind sehr flüchtige Spuren“, erzählt Berger und lässt die blaue Kaffeetasse mit den weißen Verzierungen auf der Untertasse rotietaten Österreich
Türkei
Afghanistan
Syrien
Rumänien
Serbien
Deutschland
Ungeklärte Nation
Bosnien-Herzeg.
Bulgarien ren, bis sie zum Stillstand kommt. Was eine Vergewaltigung für das Opfer bedeutet? Die Antwort erhält man gut 300 Kilometer weiter, im Büro von Thomas Lehmert, Salzburger Leiter „Weisser Ring“. Seit 15 Jahren begleitet Lehmert Opfer von Strafin Verfahren für die Opferschutzeinrichtung. „Bei vielen liegen die Taten lange zurück. Wir verdeutlichen ihnen, was auf sie im Prozess zukommt. Die meisten glauben, sie machen eine Anzeige und der Täter wird verurteilt. Aber kein Täter sagt: Danke, dass du mich anzeigst, sondern stellt das Opfer meist als Lügnerin hin.“
Pause. „Und wenn die Tat in der Familie passiert, kommt ein enormer Druck hinzu, warum man so was dem armen Opa antut.“
Das Problem sei die Beweismöglichkeit. Lehmert: „Bei einer Vergewaltigung gibt es meist ein Opfer und einen Täter. Aussage gegen
Aussage. In Österreich gilt immer noch: im Zweifel für den Angeklagten.“Dass Vergewaltigungsanzeigen seit Jahren steigen, erklären Experten mit einer Enttabuisierung des Themas.
Täter-Opfer-Umkehr
Doch Lehmert kennt auch die Seite der Täter, mit denen er, als er noch Teil der Beratungsstelle Männerwelten war, gearbeitet hat.
Täter, die eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben. „Ich habe Argumente gehört, dass Frauen zu kurze Röcke tragen und es darauf anlegen. Ich habe dann zu den Tätern gesagt: Hat sie um die Vergewaltigung gebeten? Das war deine Tat, du trägst die Verantwortung.“Zurück in Wien lernt Polizist Berger die Täter einen Schritt früher kennen. Bei den Befragungen. Die Rechtfertigungen bleiben dieselben. „Wir haben Täter aus Kulturkreisen, für die Frauen eine Art Freiwild sind. Für die das Recht des Stärkeren zählt.“
Wie man diese Arbeit schafft, ohne selbst Schaden zu nehmen, will man von Berger wissen, als man die blaue Kaffeetasse mit der weißen Verzierung abräumt. „Indem man den Sachverhalt so umfassend wie möglich abklärt, damit andere Recht sprechen können.“Nicht nur an 16 Tagen im Jahr.