Und der Haifisch, der ist zahnlos
„Die Dreigroschenoper“von Bertolt Brecht und Kurt Weill wird an der Wiener Volksoper durch eine schwache Inszenierung vertändelt
Wirtschaftskrise und Inflation, Armut und Korruption – über all diese Themen haben Bert Brecht und Kurt Weill bereits im Jahr 1928 trefflich nachgedacht. Das Ergebnis war „Die Dreigroschenoper“, ein Werk, das in seiner Schärfe heute aktueller nicht sein könnte. Banditen und Bettler, Huren und Herrscher – was könnte man auch anno 2022 nicht alles aus diesem Stoff machen.
In der Wiener Volksoper aber vergibt Regisseur Maurice Lenhart diese Chancen. Ein völlig uninteressantes, sich oft drehendes Bühnenbild mit mehrfach verwendbaren gelben Stufen vor schwarzem Hintergrund und schräge Kostüme in knalligen Bonbonfarben (Christina
Geiger) sind die Eyecatcher im negativen Sinn. Denn Regisseur Lenhard setzt auf Revue, Operette, Show (bescheiden gemacht) oder Musical, auf Slapstick, Klamauk und Outrage. Von einem bissigen Haifisch, von einer realistischen Drastik (Überhöhungen wären ja erlaubt) ist nichts zu sehen.
Kuschelkurs
Zäh schleppen sich die Dialoge dahin; der – mit Verlaub – „Dreck“, der diesem bewusst räudigen und rauen Meisterwerk innewohnt, bleibt auf der Strecke. Schade! Wenn diese „Dreigroschenoper“abhebt, dann ist das vor allem der musikalischen Seite zu verdanken. Aber weniger Dirigent Carlo Goldstein, der am Pult des guten Orchesters bei diesem Verkuschelungskurs
oft mitmacht, sondern an den Protagonisten.
Allen voran der großartigen Sona MacDonald als Mackie Messer. Sie kennt „ihren“Brecht/Weill in-und auswendig, ist darstellerisch (im weißen Hosenanzug) sowie gesanglich ein Ereignis. Jeder einzelne Song illustriert dank MacDonald, was hier möglich gewesen wäre. Eine berührende, tolle Interpretation dieser Figur.
Als Bettlerkönig Jonathan Peachum singt Carsten Süss zwar fein, wirklich gefährlich wirkt (regiebedingt) dieser Gauner nie. Dafür ist Ursula Pfitzner eine herrlich singende, dominante Frau Peachum, die auch für Lacher sorgen darf. Als Tiger Brown zeigt auch Marco DiSapia, wie Brecht und Weill gehen können.
Johanna Arrouas macht ihre Polly zu einem Zentrum der Aufführung, da wird die Tragik einer naiv Liebenden sichtbar. In Julia Kocis Lucy findet sie eine ihr adäquate Rivalin um Mackies (nicht vorhandenes) Herz. Warum die Spelunkenjenny (Oliver Liebl) mit einem Mann besetzt werden muss, weiß nur der Regisseur. Das soll sein, ist vermutlich ein Zeichen für Diversität, bringt jedoch keinen Erkenntnisgewinn.
Peachums Bettler entledigen sich ihrer Aufgaben gut; auch die Huren (ebenso divers besetzt) sowie der korrupte Konstabler gefallen. Ach ja: Am Ende segelt ein vergoldetes Pferd vom Himmel. Doch nicht allles, was glänzt, ist Gold. Jubel für die Interpreten, höflicher Applaus für das Leading-Team .