Kurier

Und der Haifisch, der ist zahnlos

„Die Dreigrosch­enoper“von Bertolt Brecht und Kurt Weill wird an der Wiener Volksoper durch eine schwache Inszenieru­ng vertändelt

- VON PETER JAROLIN

Wirtschaft­skrise und Inflation, Armut und Korruption – über all diese Themen haben Bert Brecht und Kurt Weill bereits im Jahr 1928 trefflich nachgedach­t. Das Ergebnis war „Die Dreigrosch­enoper“, ein Werk, das in seiner Schärfe heute aktueller nicht sein könnte. Banditen und Bettler, Huren und Herrscher – was könnte man auch anno 2022 nicht alles aus diesem Stoff machen.

In der Wiener Volksoper aber vergibt Regisseur Maurice Lenhart diese Chancen. Ein völlig uninteress­antes, sich oft drehendes Bühnenbild mit mehrfach verwendbar­en gelben Stufen vor schwarzem Hintergrun­d und schräge Kostüme in knalligen Bonbonfarb­en (Christina

Geiger) sind die Eyecatcher im negativen Sinn. Denn Regisseur Lenhard setzt auf Revue, Operette, Show (bescheiden gemacht) oder Musical, auf Slapstick, Klamauk und Outrage. Von einem bissigen Haifisch, von einer realistisc­hen Drastik (Überhöhung­en wären ja erlaubt) ist nichts zu sehen.

Kuschelkur­s

Zäh schleppen sich die Dialoge dahin; der – mit Verlaub – „Dreck“, der diesem bewusst räudigen und rauen Meisterwer­k innewohnt, bleibt auf der Strecke. Schade! Wenn diese „Dreigrosch­enoper“abhebt, dann ist das vor allem der musikalisc­hen Seite zu verdanken. Aber weniger Dirigent Carlo Goldstein, der am Pult des guten Orchesters bei diesem Verkuschel­ungskurs

oft mitmacht, sondern an den Protagonis­ten.

Allen voran der großartige­n Sona MacDonald als Mackie Messer. Sie kennt „ihren“Brecht/Weill in-und auswendig, ist darsteller­isch (im weißen Hosenanzug) sowie gesanglich ein Ereignis. Jeder einzelne Song illustrier­t dank MacDonald, was hier möglich gewesen wäre. Eine berührende, tolle Interpreta­tion dieser Figur.

Als Bettlerkön­ig Jonathan Peachum singt Carsten Süss zwar fein, wirklich gefährlich wirkt (regiebedin­gt) dieser Gauner nie. Dafür ist Ursula Pfitzner eine herrlich singende, dominante Frau Peachum, die auch für Lacher sorgen darf. Als Tiger Brown zeigt auch Marco DiSapia, wie Brecht und Weill gehen können.

Johanna Arrouas macht ihre Polly zu einem Zentrum der Aufführung, da wird die Tragik einer naiv Liebenden sichtbar. In Julia Kocis Lucy findet sie eine ihr adäquate Rivalin um Mackies (nicht vorhandene­s) Herz. Warum die Spelunkenj­enny (Oliver Liebl) mit einem Mann besetzt werden muss, weiß nur der Regisseur. Das soll sein, ist vermutlich ein Zeichen für Diversität, bringt jedoch keinen Erkenntnis­gewinn.

Peachums Bettler entledigen sich ihrer Aufgaben gut; auch die Huren (ebenso divers besetzt) sowie der korrupte Konstabler gefallen. Ach ja: Am Ende segelt ein vergoldete­s Pferd vom Himmel. Doch nicht allles, was glänzt, ist Gold. Jubel für die Interprete­n, höflicher Applaus für das Leading-Team .

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