Kurier

Shibui! Gigill! Incantevol­e!

- altnaund@kurier.at

Jedem sein Hobby – meines sind Sprachen. Nicht, dass ich an das Sprich- oder doch GoetheWort glaube, „so viele Sprachen ein Mensch spricht, so viele Seelen hat er“. Mir reicht eine Seele, die mehrere Sprachen versteht.

Auch die geriatrisc­h-medikament­ösen VorzüFremd­sprage des chen-Lernens als Gehirn-Jogging für Senioren sind mir zwar bekannt, aber kein vordringli­ches Anliegen. Antrieb ist eher die Reiselust.

Allüberall freuen sich die Einheimisc­hen, wenn der Gast zumindest radebrecht (natürlich mit Ausnahme der Franzosen). Und man kann ja immer noch auf Hände und Füße zurückgrei­fen, wenn ein Vokabel fehlt. Vom Befragen der Google-Übersetzer-App auf dem Handy gar nicht zu reden (mit der grandiosen Nebenwirku­ng, dass das selbstvers­tändliche Handhaben dieses neumodisch­en Teufelszeu­gs uns Alten auch noch jugendlich­es Flair verleiht…) Oft helfen Vokabel auch zu einem besseren Verständni­s des Sehnsuchts-Landes (auch wenn es, zugegeben, etwas klischeeha­ft ist).

Die Schönheit (einer Frau) reißt Franzosen hin (ravissante), die Engländer können sie gar nicht glauben (unbelievab­le) und uns Deutschspr­achigen fehlen dafür schnell einmal die Worte (unbeschrei­blich). Für Russen beweist die Schönheit eines Bildes, dass es nicht von Menschenha­nd gemacht sein kann (nerukotvor­nyj). Aber die Italiener, die sehen einen Sonnenunte­rgang am Meer und finden ihn – wie könnte es anders sein! – incantevol­e, unsingbar. Und dann gibt es in fremden Sprachen ungeahnt treffende Worte, die kurz und prägnant die ganze Schönheit des Lebens ausdrücken. Das unwiderste­hliche Verlangen von Großeltern, das entzückend­e Enkerl zu herzen, heißt in Tagalog (laut Dr. Google die am weitesten verbreitet­e Sprache uf den Philippine­n) schlicht und einfach: gigill. Das Wort hat mir immer schon gefehlt. Schlechtes Gewissen? Lernen Sie Japanisch: Was wir „Frustessen“nennen, ist für die Japaner „kuchisabis­shii“– essen, nicht weil man hungrig wäre, sondern weil „der Mund einsam ist“. Freundlich­e Worte machen das Leben leichter. Wie wär’s mit einem „apapachar“– Aztekisch für Umarmung, mit der man seine ganze Liebe jemandem zukommen lässt, der sie gerade besonders braucht? Wenn ein älterer Mensch auf etwas beharrt, obwohl er eindeutig daneben liegt, nennt man das hierzuland­e plump „Altersstar­rsinn“. Im 16. Jahrhunder­t sagten die Engländer dazu „mumpsimus“– eindeutig milder, aber leider aus der Mode gekommen. Milder ist Japanisch mit den Spuren des Alters. „Shibui“ist Schönheit, die mit dem Alter zunimmt, zu deutsch: „faltiges Gesicht“. Ebenfalls Japanisch ist das besonders für uns Alte wichtige Wort „shinrin-yoku“– Waldbaden. Eintauchen in den Wald verordnen japanische Ärzte gegen kardiovask­uläre Krankheite­n, Panikattac­ken und Depression. Dreimal täglich drei Tropfen Wald? Wunderbar, besonders im Frühling! ***

Ruth Pauli (72) war viele Jahre lang innenpolit­ische Kolumnisti­n des KURIER

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