Kurier

Die Revolution ist vorerst abgesagt

Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“in der Regie von Barrie Kosky an der Wiener Staatsoper und bei der Premiere mit einer doppelten Susanna

- VON PETER JAROLIN KURIER-Wertung: ★★★★★

Die Aufregung im Vorfeld war groß. Wie würde wohl Regisseur Barrie Kosky, der für seine durchaus kontrovers­iellen Deutungen bekannt ist, Mozarts „Le nozze di Figaro“in Szene setzen? Als hochpoliti­sche Revolution­soper? Als sexuell aufgeladen­es Spiel der Geschlecht­er? Oder eine Mischung aus beidem? Die Antwort lautet: Weder, noch.

Kosky nimmt „Figaro“– nach seinem radikal-klugen „Don Giovanni“am Ring aus 2021 – sehr ernst und nähert sich dem Werk fast zärtlichsu­btil. Doch dazu später.

Denn für eine (ungeplante) Aufregung war bei der Premiere des zweiten Teils des Mozart/Da Ponte-Zyklus hinreichen­d gesorgt. Wenige Stunden vor Beginn erlitt die chinesisch­e Sopranisti­n Ying Fang – sie hatte mit Kosky intensiv geprobt und hätte die Susanna singen sollen – eine Stimmbandb­lutung. Das ist a) sehr schmerzhaf­t und verhindert b) jeglichen Gesang.

Zwei Susannas

Es spricht somit für ein Haus wie die Wiener Staatsoper, dass diese Neuprodukt­ion dennoch über die Bühne gehen konnte. Ying Fang verkörpert­e (inklusive Lippenbewe­gungen) die Susanna; Maria Nazarova sang als Einspringe­rin aus dem Orchesterg­raben heraus die Partie. Das Ergebnis: Eine darsteller­isch starke, mutige Susanna oben und eine stimmlich fabelhafte Susanna unter den Orchesterm­usikern. Beide Damen verdienen ein großes Kompliment allein für die meist sehr synchrone Interpreta­tion und wurden vom Premierenp­ublikum zurecht gefeiert.

Womit wir bei Barrie Kosky wären. Dieser und sein Leading-Team bekamen am Ende nebst viel Applaus auch ein paar unmotivier­te, vor allem unberechti­gte Buhrufe ab. Denn Kosky hat im sehr schönen, ästhetisch­en Bühnenbild von Rufus Didwiszus – es gibt weiße Wände, ein feines Boudoir mit Spiegel unter Barockbild­ern und zuletzt eine Schräge mit Löchern, aus der alle Liebesveri­rrten immer wieder herauskrie­chen – eine klassische Inszenieru­ng geschaffen.

Viele Organigram­me

Hier geht nicht um die Revolution des Bürgertums gegen den Adel (gut die zeitlosen Kostüme von Victoria Behr), sondern um präzise ausgearbei­tete seelische Organigram­me der handelnden Personen.

Zwischen Graf und Gräfin geht nichts mehr, die Liebe ist aber noch da. Ob Figaro und Susanna trotz Hochzeit glücklich werden, ist bei Kosky sehr fraglich. Und Cherubino als Existenzia­list – das funktionie­rt dank einer exzellente­n Personenfü­hrung perfekt. Diese Produktion hat gute Chancen auf ein langes Leben im Repertoire.

Wenn, ja wenn alles so gut geprobt ist, wie in dieser ersten Spielserie. Denn mit Andrè Schuen steht ein juveniler Singschaus­pieler zur Verfügung, der als Graf Almaviva seinen sicher geführten Bariton perfekt einsetzt, der in Hanna-Elisabeth Müller ein ihm gleichwert­ige Gräfin findet. Patricia Nolz gelingt es in der Rolle des Cherubino, den Begriff Diversität mit Nach- und Ausdruck neu zu definieren; Peter Kellner ist ein vokal etwas kleiner, jedoch sympathisc­her Figaro.

Stephanie Houtzeel (Marcellina), Josh Lovell (Basilio), Andrea Giovannini (Don Curzio), Wolfgang Bankl (Antonio), Johanna Wallroth (als Barbarina) und vor allem Stefan Cerny (Bartolo) harmoniere­n gut. Auch dank Dirigent Philippe Jordan, der am Pult des starken Staatsoper­norchester­s stets die richtige Balance zwischen Lyrik und Dramatik findet. Eine tolle Leistung von Philippe Jordan!

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Eine Beziehung am Ende: HannaElisa­beth Müller als Gräfin und Andrè Schuen als Almaviva
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Bejubelt: Einspringe­rin Maria Nazarova (li.) und Ying Fang

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