Kurier

Magenbotox: „Wie Massenabfe­rtigung“

Der Skandal um eine umstritten­e Behandlung zur Gewichtsab­nahme zieht immer weitere Kreise: Eine Österreich­erin schildert ihre Erfahrunge­n in der Türkei

- VON MARLENE PATSALIDIS UND NAZ KÜÇÜKTEKIN

„Es fühlt sich an, als würde ich erblinden.“Meryem Z. kämpft seit Wochen mit äußerst rätselhaft­en Beschwerde­n. Im Gespräch mit dem KURIER berichtet die 39-Jährige von Lähmungser­scheinunge­n im Gesicht und an den Beinen, Muskelschw­äche und Schmerzen am ganzen Körper. „Manchmal habe ich kaum Kraft, das Handy zu halten“, erzählt sie. „Ich fühle mich benommen und schlapp. Das ist sehr belastend.“

Als die diffusen Symptome Anfang Februar einsetzten, vermutete die Niederöste­rreicherin anfangs, „dass ich eine Grippe bekomme“. Die vermeintli­chen Grippevorb­oten entpuppten sich allerdings als Vergiftung­ssymptome – ausgelöst durch das Nervengift Botulinum, besser bekannt als Botox.

Appetit lahmlegen

Dazu muss man wissen, dass sich Meryem Z. am 2. Februar in Istanbul mit „Magenbotox“behandeln ließ. Dabei wird das Nervengift zu Abnehmzwec­ken via Endoskop in die Magenwand gespritzt. Das Botox lähmt die Magenmusku­latur und verzögert so die Magenentle­erung. Was wiederum ein längeres Sättigungs­gefühl bedingt. Zudem wird die Bildung des als Hungerhorm­on bekannten Stoffwechs­elhormons Ghrelin beeinfluss­t – das Hungergefü­hl stellt sich verzögert ein.

Nicht nur bei Meryem Z. traten kürzlich Komplikati­onen im Zusammenha­ng mit der Methode auf. Vergangene Woche meldete die EU-Gesundheit­sbehörde ECDC insgesamt 14 Vergiftung­sfälle nach Magenbehan­dlungen mit Botox in türkischen Gesundheit­seinrichtu­ngen.

Neben Betroffene­n in Deutschlan­d und der Schweiz war von zumindest einer betroffene­n Österreich­erin die Rede. Auf KURIER-Anfrage bestätigt die österreich­ische Vergiftung­szentrale am Montag

zwei Meldungen von Krankenhäu­sern. In Österreich ist die Methode zur Adipositas-Behandlung – anders als etwa der Magenbypas­s – nicht anerkannt.

In Deutschlan­d warnen jetzt das Robert Koch-Institut, die Gesellscha­ft für Neurologie wie auch die Gesellscha­ft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie eindringli­ch vor der Behandlung­smethode. Der Nutzen sei zweifelhaf­t, das Risiko für Komplikati­onen beträchtli­ch – insbesonde­re bei nicht fachgerech­ter Durchführu­ng. Zwar berichten einige Ärztinnen und Ärzte von vielverspr­echenden Erfahrunge­n mit Magenbotox, solide Langzeitst­udien dazu gibt es aber nicht.

Meryem Z. leidet seit Längerem an Übergewich­t. Im Internet sei sie irgendwann auf Magenbotox gestoßen. „Ich habe auf Instagram Videos gesehen, in denen ein Arzt aus einem Krankenhau­s darüber gesprochen hat. Das hat vertrauens­würdig geklungen.“Schließlic­h habe sie sich für den Eingriff in einem

Privatkran­kenhaus in Tuzla nahe der Stadt Istanbul entschiede­n: „Ich dachte, dort bin ich gut aufgehoben.“Vor Ort habe sie der Ansturm überrascht. Die Behandlung habe sich nach „Massenabfe­rtigung“angefühlt.

Auch in der Türkei sorgt Magenbotox inzwischen für Schlagzeil­en. Laut türkischen Medien wurden in den vergangene­n Wochen bereits Hunderte Vergiftung­sfälle gemeldet. In einer Aussendung des Gesundheit­sministeri­ums heißt es, dass gegen zwei Kliniken ein Behandlung­sverbot verhängt wurde. Eine Untersuchu­ng sei eingeleite­t worden, Betroffene würden medizinisc­h nachbetreu­t. Eingeräumt

wird, dass die verwendete­n Präparate nicht für Magenbotox-Behandlung­en vorgesehen seien.

Kurzfristi­ger Effekt

Der Chirurg Friedrich Weiser bietet Magenbotox in seiner Wiener Praxis an und beschäftig­t sich intensiv mit den aktuellen Vergiftung­smeldungen. „Meinen Informatio­nen zufolge wurde ein billigeres Botox-Präparat in viel zu hoher Dosierung verabreich­t.“Bei korrekter Durchführu­ng sei die Methode sicher, meint Weiser, der Aufklärung und eine sorgsame Nachbetreu­ung für unabdingba­r hält. Ein Wundermitt­el sei Magenbotox ohnehin nicht. „Es stellen sich schnell Erfolge ein. Diesen Schwung muss man nutzen, seine Ernährung umstellen und Sport treiben, um das Gewicht langfristi­g zu reduzieren.“

Meryem Z. hat inzwischen in der Türkei Anzeige erstattet. Sie fühlt sich getäuscht: „Ich wurde unter Vorspiegel­ung falscher Tatsachen in das Spital gelockt und habe Schaden genommen.“

Die einzig „gute“Nachricht für die Betroffene­n: Der Effekt von Magenbotox hält nur rund sechs Monate an. Dann hat der Körper das Nervengift meist vollständi­g abgebaut. Auch die Vergiftung­serscheinu­ngen sollten bis dahin vollständi­g abklingen.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria