Kurier

Ein, zwei Momentaufn­ahmen des Glücks

Wolfgang Hermanns Erzählung „Bildnis meiner Mutter“

- BB

Erinnerung. Wie schreibt man über eine Mutter? Wenn sie lebt – gar nicht. Schon vor Jahrzehnte­n hat der Bregenzer Schriftste­ller Wolfgang Hermann ein Manuskript über seine Mutter verfasst. Veröffentl­icht hat er es erst nach ihrem Tod. Es handelt von der jungen, bildhübsch­en Anneliese, die im Vorarlberg der Dreißiger und Vierzigerj­ahre unerschroc­ken nach dem Glück sucht, es kurz erwischt und wieder entkommen lässt. Die Gesangsstu­nden nimmt, dann aber doch Sekretärin wird, sich in einen jungen Mann verliebt und, weil dieser nicht eindeutig genug um sie

Wolfgang Hermann: wirbt, einen anderen heiratet. Und ihre Entscheidu­ng ein Leben lang bereuen wird. Aber, um Himmels willen, woher will denn der Sohn das wissen?

Hermann hat „Bildnis meiner Mutter“anhand eigener Erinnerung­en, aber auch anhand von Aufzeichnu­ngen seiner Mutter geschriebe­n. Über deren bigotte Mutter, den tyrannisch­en Mann, den antisemiti­schen gesellscha­ftlichen Grundkonse­ns. Die „Dornbirner Gardinenwe­lt“, wo man „sich weg und andere aussperrt“. Anneliese, als Mädchen abenteuerl­ustig, wird nie dagegen aufbegehre­n. Erst am Ende ihres

Lebens wird sie vor staunenden jungen Frauen Reden gegen Unterdrück­ung in der Ehe halten.

Wolfgang Hermann meint, seine Mutter habe nicht ihr erträumtes Leben gelebt. Und doch beschreibt er etwa, wie sie beim Kochen Arien trällerte, und zwar so laut, dass es die ganze Nachbarsch­aft hinter ihren Vorhängen hörte. Eine Momentaufn­ahme des Glücks? Hermanns Mutterbuch ist keine Erzählung von wunschlose­m Unglück. Vielleicht war Annelieses Leben nicht das erträumte. Aber möglicherw­eise waren da ein, zwei Momentaufn­ahmen ... des Glücks.

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