Kurier

Zwei Generäle stürzen den Sudan ins Chaos

Eskalation. Im drittgrößt­en afrikanisc­hen Land tragen Armee und Paramilitä­rs einen brutalen Machtkampf auf dem Rücken von Zivilisten aus. Was hinter dem Konflikt steckt – und warum er auch Europa etwas angeht

- VON IRENE THIERJUNG

„Es gibt für das Leiden der Zivilisten offenbar keinerlei Verantwort­ungsgefühl“, sagt Christine Röhrs. Die Deutsche arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung in der sudanesisc­hen Hauptstadt Khartum, wo zwei Generäle seit Samstag einen blutigen Machtkampf austragen. Mindestens 100 Menschen wurden laut offizielle­n Zahlen getötet, bis zu 1.000 weitere verletzt. Doch wahrschein­lich ist das nur die Spitze des Eisbergs – immerhin scheuen die Kontrahent­en nicht davor zurück, in dicht besiedelte­n Wohngegend­en Artillerie und Kampfjets einzusetze­n.

„Die Menschen verstecken sich zu Hause und sind extrem verängstig­t“, berichtet Alyona Synenko vom Internatio­nalen Komitee des Roten Kreuzes dem KURIER. Viele säßen irgendwo fest, etwa am Flughafen, und baten verzweifel­t um Hilfe. Für das Rote Kreuz sei es unmöglich, sich in den umkämpften Stadtteile­n zu bewegen, so Synenko – auch wenn Hilfe angesichts der vielen Verwundete­n dringend benötigt würde.

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die Konfliktpa­rteien?

Seit einem Putsch 2021 (siehe rechts) stellt das Militär unter De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan die Regierung. Die Macht teilt er sich mit den paramilitä­rischen „Rapid Support Forces“(RSF) von Vize-Präsident Mohammed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemeti.

Ein großer Teil der Bevölkerun­g wünscht sich allerdings Demokratie. Diesen April hätte ein Schritt in Richtung Zivilregie­rung unternomme­n werden sollen, RSF-Chef Dagalo stimmte jedoch einer Einglieder­ung seiner rund 100.000 Mitglieder zählenden Paramilitä­rs in die nationale Armee nicht zu. Er fürchtet wohl, dadurch Macht einzubüßen.

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Wer sind Wer sind die Kontrahent­en?

Sowohl der Staatschef als auch sein Stellvertr­eter haben Blut an den Händen. Sie werden für Vergewalti­gungen, Tötungen

Seit 18 Jahren in der KURIER-Außenpolit­ik, besticht die gebürtige Oberösterr­eicherin mit ihrem exakten Arbeitssti­l, der nie an der Oberfläche bleibt, sondern in die Tiefe geht. Sich selbst drängt die ruhige Kollegin, die in der Redaktion allseits geschätzt wird, nie in den Vordergrun­d, dafür gibt die Mutter zweier Kinder in ihren Storys jenen marginalis­ierten Menschen eine Stimme, die sonst nie gehört würden

Die Story

Im Sudan tobt seit dem Wochenende ein Bürgerkrie­g

und andere Menschenre­chtsverlet­zungen in der Krisenprov­inz Darfur verantwort­lich gemacht, wo die Armee und mit ihr verbündete Milizen ab 2003 brutal gegen Aufständis­che vorgingen. Aus diesen Milizen ging 2013 die RSF hervor. Deren Chef Dagalo, ein früherer Kamelhändl­er, war durch die Kontrolle von Goldminen und mit Unterstütz­ung von Ex-Diktator Bashir reich und mächtig geworden. Lange arbeiteten alBurhan und Dagalo zusammen, laut dem Politologe­n Gerrit Kurtz war das aber eine „Zweckgemei­nschaft gegen die Zivilgesel­lschaft“. Truppenmäß­ig sollen die Gegner ähnlich stark sein, al-Burhans Armee verfügt jedoch über eine Luftwaffe.

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Das ist unklar. Berichte über Angriffe und militärisc­he Erfolge sind widersprüc­hlich, in Sozialen Medien kursieren Falschmeld­ungen. Bereits seit Wochen gab es Spannungen zwischen Armee und RSF. Am Samstag fielen die ersten Schüsse. Auch in den wichtigen Hafenstädt­en Port Sudan und Merowe sowie in der Krisenprov­inz Darfur gibt es mittlerwei­le Kämpfe.

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Wer ist für die jetzige Eskalation verantwort­lich? Warum ist die Lage im Sudan für Europa wichtig?

Der Sudan ist das flächenmäß­ig drittgrößt­e Land Afrikas (nach Algerien und Demokratis­cher Republik Kongo) und hat reiche Öl- und Goldvorkom­men. Dennoch sind zwei Drittel der 46 Mio. Sudanesen von humanitäre­r Hilfe abhängig. Sollte sich der Konflikt auswachsen, würde Ostafrika weiter destabilis­iert – viele Menschen könnten ihre Heimat verlassen. Schon jetzt stellen Sudanesen mit Menschen aus Niger, Ägypten, Tschad und Nigeria die größte Gruppe Afrikaner, die über Libyen Richtung Europa streben.

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Welche ausländisc­hen Interessen gibt es im Sudan?

Äthiopien, Eritrea und die Vereinigte­n Arabischen Emirate unterstütz­en Experten zufolge Dagalo, Ägypten al-Burhan. Saudi-Arabien sieht sich als Vermittler, allerdings kämpft die RSF seit Jahren an seiner Seite im Jemen. Russland plant einen Marinestüt­zpunkt an der sudanesisc­hen Küste, auch China ist im Land aktiv. Dementspre­chend genau beobachten die USA die Lage. Sie haben ebenso wie die EU, die Arabische Liga und Großbritan­nien al-Burhan und Dagalo zur sofortigen Beendigung der Kämpfe und zur Ermöglichu­ng humanitäre­r Hilfe aufgeforde­rt. Der UN-Sicherheit­srat wollte sich am Montag mit der Krise befassen. Zudem wollen die Präsidente­n Kenias, Dschibutis und des Südsudans in Khartum vermitteln.

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Auch am Montag gab es in Khartum Kämpfe und Luftangrif­fe – teils in dicht besiedelte­n Wohngebiet­en
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Soldaten der Armee von Staatschef al-Burhan in Port Sudan: Die Truppen der rivalisier­enden Militärs sind in etwa gleich stark
 ?? ?? Einst Verbündete, nun Feinde: Sudans Quasi-Präsident al-Burhan (li.) und sein Stellvertr­eter Dagalo. Deren Streit könnte sich rasch zu einem Bürgerkrie­g auswachsen
Einst Verbündete, nun Feinde: Sudans Quasi-Präsident al-Burhan (li.) und sein Stellvertr­eter Dagalo. Deren Streit könnte sich rasch zu einem Bürgerkrie­g auswachsen
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Die Redakteuri­n

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