Sara wird unsichtbar
Dunkle Spuren. Im vergangenen August verschwindet die 15-jährige Innsbruckerin spurlos. Die Befürchtung: Das Mädchen könnte in Deutschland gegen seinen Willen festgehalten werden
Es sind die Fotos, die Saras Mutter wie einen Schatz hütet. Fotos, auf denen ihre Tochter Sara breit lächelnd als Cheerleaderin auf dem Fußballfeld steht. Später solche, auf denen Sara bunte Kopftücher und Kleider trägt. Und schließlich welche, auf denen die 15-Jährige komplett in Schwarz gehüllt ist. Das Mädchen trägt einen Niqab. Nur Saras Augen sind noch erkennbar.
Es sind die letzten Bilder, die Mutter Yasmin von ihrer Tochter besitzt. Kurz darauf verschwand Sara. Die Innsbruckerin wird seit dem 16. August 2022 vermisst. Es wird nicht ausgeschlossen, dass das Mädchen gegen seinen Willen festgehalten wird.
Seither ist jeder Tag für Saras Familie eine Zerreißprobe. Das Hoffen und Bangen, die Angst – sie sind ständige Begleiter. „Ich habe keine Tränen mehr“, sagt Yasmin fast entschuldigend, als sie sich mit dem KURIER in einem Hotel in Innsbruck trifft und die Geschichte ihrer Tochter erzählt.
Sara stammt aus einer großen Familie. Sie galt als sportlich, fröhlich. Doch dann veränderte sie sich. Innerlich und äußerlich.
„Ungläubige!“
Sara wollte nicht mehr zur Schule gehen. Sie wandte sich erst von ihren Freundinnen ab. Später von der eigenen Familie, bezeichnete sie als „Ungläubige“und verweigerte sogar das gemeinsame Essen. Sie lernte Arabisch, verbrachte ihre Freizeit vor dem Computer. Radikalisierte sich.
Im April des Vorjahres tauchte sie zum ersten Mal unter – und wenig später wieder auf. „Sie hat damals gemeint, sie ist bei einer Freundin gewesen. Im Nachhinein ist dann herausgekommen, dass sie anscheinend einen jungen,
True Crime
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Der Fall Sara
Die 15-jährige Innsbruckerin verschwindet am 16. August des Vorjahres und bricht sämtliche Kontakte ab. Sie könnte sich in Deutschland aufhalten. Ob freiwillig – daran haben auch die Ermittler ihre Zweifel
Falls Sie Hinweise oder Informationen haben, wenden Sie sich an das Kriminalreferat Innsbruck: 059133-75 33 33 oder per eMail an dunklespuren@ kurier.at
Sara verschwindet: Der Fall hier zum Anhören konvertierten Deutschen kennengelernt und geheiratet hat.“
Dieser Mann ist bis heute ein Phantom. Weder ist sein Name bekannt, noch sein genaues Alter. Niemand hat je ein Foto von ihm gesehen.
Der Streit in der Familie nahm zu – und in Absprache mit der Familie zog Sara in das Kriseninterventionszentrum in Innsbruck. Erst schien es, als würde sich die Situation beruhigen. Doch das täuschte. „Sara hat am Vormittag mit einem Rucksack das Zentrum verlassen“, sagt Christoph Kirchmair, Leiter des Kriminalreferats Innsbruck. Ein Betreuer sprach sie an. „Ich mache ein Picknick mit Freundinnen“, antwortete Sara.
Doch im Rucksack befanden sich weder Decke noch Essen für ein Picknick. Sara hatte darin einen Koran, ihren Reisepass
und 500 Euro Bargeld – die sie zuvor als Mitgift von ihrem Ehemann bekommen hatte. Das Geld hatte Sara am Vortag von daheim geholt – dort hatte sie es in einem Kuvert verwahrt.
„Sie hat ab diesem Verschwinden alle Kontakte, alle sozialen Accounts, alle E-MailAdressen gestoppt. Seither gibt es keinen Kontakt mehr zu ihr“, sagt Kirchmair.
Sara ist ab diesem Moment unsichtbar. Nicht nur im Internet. Die Ermittler finden zunächst keinen Anhaltspunkt, wo sie geblieben sein könnte. Zu viele unterschiedliche Geschichten hat das Mädchen im Vorfeld erzählt. Etwa, dass es nach Syrien oder Afghanistan gehen will. Oder zu ihrem Mann nach Köln oder München zieht.
Die Ermittler gehen zum ersten Mal mit dem Fall an die Öffentlichkeit. Und es kommt tatsächlich ein Hinweis. „Sie ist einige Tage davor zu Hause gewesen, hat einen großen Koffer geholt und Kleidungsstücke mitgenommen. Eine Bekannte hat sie damit auf einer Bushaltestelle gesehen. Wir gehen davon aus, dass sie auch ein Zugticket gehabt hat und damit Österreich verlassen wollte“, schildert Kirchmair. Er hält es für wahrscheinlich, dass sie tatsächlich nach Deutschland gereist ist. „Wir gehen davon aus, dass sie ihr Verschwinden sehr wohl durchdacht und geplant hat. Wir schließen aber nicht aus, dass sie jetzt irgendwo der Freiheit beraubt und nicht mehr zurückgelassen wird“, sagt der Ermittler.
Ein Lebenszeichen?
Würde sich Sara melden, wenn sie könnte? Ihre Familie ist davon überzeugt. „Sie weiß, wie sehr ich mir Sorgen mache“, sagt Mutter Yasmin. Doch möglicherweise hat Sara bereits versucht, Kontakt aufzunehmen – zu ihrem älteren Bruder Amin: „Auf Instagram habe ich eine Nachricht von einem seltsamen Account bekommen. Da war eine Story drin, und da stand eben: Es tut mir leid, was ich gemacht habe. Ich werde bald zurückkommen.“Sekunden später war der Account gelöscht.
Ein Zeichen von Sara? „Wir versuchen, nach jedem Strohhalm zu greifen. Irgendetwas passt auf jeden Fall nicht. Entweder wird sie irgendwo festgehalten. Oder man hat ihr etwas angetan“, glaubt ihre Mutter.
Ihr größter Wunsch: dass Sara morgen wieder vor der Tür steht. „Natürlich würde ich ausflippen vor Freude. Sie auffressen, küssen, umarmen. Ich liebe sie. Sie ist mein Baby.“„Wir wollen wissen, dass es Sara gut geht und kein Verbrechen stattgefunden hat“, appelliert Ermittler Kirchmair.