Daria weiß nicht, wie „böse“geht
Neulich gingen Daria und ich eine Runde, die wir noch nie davor gegangen waren. Der Weg führte uns durch ein Wäldchen zu einer Brücke und dann an einem Haus vorbei, das wie ein Freiluftmuseum wirkte. An einer brüchigen Wäscheleine baumelte ein ausgebleichtes Arbeitshemd. Man sah, dass an diesem abgelegenen Ort, jahrzehntelang niemand gewohnt haben dürfte.
Als wir näherkamen, bemerkte ich das Schild am Garteneingang: „ACHTUNG BÖSER HUND“
Ich lachte. Hier hatte seit langer Zeit keine Menschenseele und sicher auch keine Hundeseele gewohnt oder gar gewacht. Das Schild wirkte wie ein Gruß aus einem anderen Jahrtausend, in dem das Wort „böse“noch ernsthaft abschreckend gewirkt haben muss.
Ich grübelte und sagte: „Glaubst du, dass es böse Hunde gibt, oder dass die Menschen sie durch böse Erziehung böse machen, damit sie damit andere abschrecken können?“Daria schaute mich beinahe böse an. Ihr entgeisterter Blick sagte eindeutig: „Es gibt keine bösen Hunde, nur gequälte Hunde, denen nichts anderes übrig bleibt, als böse zu werden, um sich zu schützen.“
„Sehr weise“, dachte ich und fragte weiter: „Glaubst du, dass hier irgendwann tatsächlich ein Hund gelebt hat oder dass das Schild nur angebracht wurde, um so zu tun, als wäre das Haus mitten im Nirgendwo gut bewacht?“Daria überlegte und setzte ihre Erklärmine auf: „Kann schon sein. Der Trick, so zu tun, als würde man von einem Hund gefressen, sobald man den Garten betritt, ist zwar lächerlich, aber es gibt offensichtlich Menschen, die das glauben.“
„Ja, es wirkt“, dachte ich, „statt Alarmanlagen hatte man früher Warnschilder – und fühlte sich geschützt.
Die Wahrheit ist aber, wer etwa bei uns durchs Hoftor kommt, wird zwar von Daria bellend begrüßt, aber nicht, weil sie ihn oder sie verjagen will, sondern weil sie ein Begrüßungsgeschenk für den Hund einfordert. Konkret heißt das: Wenn die Einbrecher ein Stück Wurst oder Käse mitbringen, werden sie von Daria umgehend adoptiert und zum Spielen aufgefordert. Wie „böse“geht, weiß Daria gar nicht.
Aber zeitgemäße Türschilder sehen ohnehin anders aus. Ich kenne einen Eingang, an dem steht: „Willkommen, hier wohnt ein freundlicher Hund“.