Es ist wie eine Art Geheimtippdurchfall
Die Frage kam ohne böse
Absicht: „Hast du einen
Geheimtipp für Italien?“Aber manchmal lösen harmlose
Fragen einen Dammbruch im
Gehirn aus. Ich verfiel sofort in einen Wachtraum, in dem sich alle
Erlebnisse, die ich in meinem Italienreiseleben eingesammelt habe, zu einem honigartigen Brei vereinten und begann rasch zu rezitieren:
Die vielen kleinen Dörfer in den Bergen des Veneto, rund um die Stadt Belluno am Fluss Piave.
Die Stadt Genua, die vollkommen zu Unrecht immer nur Durchgangsort ist, man sollte öfter bleiben.
Die Insel Elba, die man einmal im Leben zum Wandern besuchen sollte.
Die Gebirgskette Madonie auf Sizilien, wo man nicht wandern soll, sondern im Herbst Spezialitäten kosten.
Und die Küstenstadt Cefalù, in der man zumindest einen Abend verbringen sollte, nicht nur in Palermo.
Aber eben auch wieder Palermo, vor allem die Mumien in der Kapuzinergruft.
Und auf Sizilien immer wieder die Involtini di pesce spada, aber das wissen Sie seit voriger Woche ja schon.
Das wunderbare Kalabrien, vor allem rund um das Capo Vaticano. Gehen Sie nicht nur auf die Stadtstrände in Tropea, sondern nehmen Sie den mühsamen Weg auf sich, zu einem der Ministrände in den Felsfurchen rund um das Capo abzusteigen.
Falls man einmal an die Amalfiküste fährt: Weg von der Amalfiküste fahren! Hinauf in das Bergdorf Ravello, wo nur ein Bruchteil der Amalfijünger hinpilgert, dabei hat man immer von oben den besten Blick auf alles, das man sehen sollte.
Wie man im Golf von Neapel auch nicht auf die Insel Ischia fahren soll, sondern auf dem Weg dorthin aussteigen und die Insel Procida erkunden.
Und so wie man in Rom auf dem Campo de Fiori nicht tagsüber vorbeikommen sollte, wenn alle die Blumenstände belagern, sondern gegen Abend, wenn die Blumentandler ihre Ware zusammenpacken und das Wasser der großen Kübel ausschütten. Da soll man einen caffè trinken und riechen.
Denn es geht nie nur um den richtigen Ort. Es geht immer auch um die richtige Zeit, um den Moment. Im Leben sowieso, aber auch auf Reisen.
Nathalie Gaglio sperrt ein großes, schweres Eisentor auf, das zu den Stufen auf die Flachdächer der einstöckigen Häuser der Rue des Ponchettes führt. „Bis 1972 war diese Dachpromenade öffentlich zugänglich und sehr beliebt zum Flanieren. Dann wurden die Dächer aus Sicherheitsgründen gesperrt“, erzählt Nathalie, Historikerin und Fremdenführerin aus Nizza. Jetzt ist das Dach, auf dem entlang der niedrigen Mauer Kabeln verlegt sind und Klimageräte thronen, nur für geführte Touren geöffnet. „Außerdem dürfen die Besitzer der Häuser herauf – nein: sie müssen, weil sie für die Reinigung der Dächer verpflichtet sind“, sagt Nathalie. Die Rue des Ponchettes ist die erste Straße, die im Jahr 1770 in die Felsen geschlagen wurde. Heute ist hier ein geschichtsträchtiger Ort, kleine Häuser, die die großen Turbulenzen der Modernisierung und Stadtentwicklung überstanden haben. Sie markieren die Teilung des Cours Saleya im Vieux Nice (Altstadt) und der Strandpromenade.
Rechts fällt der Blick auf die Kiesstrände von Nizza. Links sehen die Besucher der Tour „When Nice invented the Riviera“(siehe Tipps) auf die kleinen Boutiquen, Galerien, Cafés, Restaurants und das Getümmel auf dem Marché Aux Fleurs Cours Saleya, der Dienstag bis Sonntag von 6.30 bis 12.30 Uhr geöffnet hat. Am Ende des Marktes leuchtet das gelbe Haus, in dem einst der französische Maler und Bildhauer Henri Matisse im dritten Stock wohnte, hervor. Hoch oben auf dem Hügel, plätschert der künstliche Wasserfall –
Cascade de la colline du Château, der in der Nacht prachtvoll illuminiert wird. Schön ist auch der Blick von oben in den Palmengarten des Palais de la Prefecture. Dahinter ragt eine Dachwohnung mit Türmchen und traumhafter Terrasse hervor. Es ist sicher das schönste private Domizil der Stadt – mit freiem Blick aufs Meer und die berühmte, sieben Kilometer lange Promenade des Anglais. Diese Aussicht bleibt leider nur den wohlhabenden Besitzern dieser Immobilien vorenthalten.
Von den Dächern führt Nathalie die kleine Reisegruppe zu den Prachtbauten der Altstadt. Stolz ist die Französin auf ihre Stadt, die seit Juli 2021 als „Winterurlaubsstadt an der Riviera“Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist. Der Spaziergang endet auf dem Markt bei einem Socca-Stand. Geduldig reiht man sich in die Schlange ein, um diesen Traditionsimbiss, ein Fladen aus Kichererbsen, der aussieht wie eine Pizza, zu kosten. Ein wirklicher Leckerbissen!
Dachtour und Altstadt
Jeden Montag um 9.30 Uhr, 90 Min., 7 €/P., englischspr. Guide, explorenicecotedazur.com/en/
Mittagessen am Strand vom Beau Rivage
Fisch, Meeresfrüchte und viel Sand. 107 Quai des États-Unis, plagenicebeaurivage.com
Cascade de Gairaut
Am Ende der Bucht kann man den künstlichen Wasserfall, 1880 bis 1883 gebaut, besuchen
Elisabetta De Luca: