Kurier

„Unter diesen Bedingunge­n werden wir keine Fachkräfte finden“

Susanna Haas ist pädagogisc­he Leiterin von 86 Kindergärt­en in Wien

- VON S. BUMBERGER UND B. GAUL

Zur St. Nikolausst­iftung der Erzdiözese Wien gehören 86 Kindergärt­en und Horte, in denen Kinder im Alter von ein bis zehn Jahren gebildet und begleitet werden. Susanna Haas ist pädagogisc­he Leiterin und ausgewiese­ne Expertin für den vorschulis­chen Bereich.

KURIER: Was sagen Sie zu der Ankündigun­g von Bundeskanz­ler Nehammer, 4,5 Milliarden Euro in die Kinderbetr­euung zu investiere­n? Susanna Haas: In letzter Zeit wird so viel über den Kindergart­en gesprochen, wie schon lange nicht mehr. Das freut uns. Was uns nicht freut, ist, dass nur über die Quantität gesprochen wird, also den Ausbau, und nicht über die Qualität, die dringend notwendige­n Verbesseru­ngen der Rahmenbedi­ngungen.

Warum soll nur die Betreuungs­lücke der Ein- bis Dreijährig­en geschlosse­n werden?

Es gibt, wenn man ganz Österreich heranzieht, viel zu wenig Plätze in elementarp­ädagogisch­en Einrichtun­gen für die Ein- bis Dreijährig­en. Sie benötigen andere Bedingunge­n als ältere Kinder: kleinere Gruppen, das beste ausgebilde­te Personal und einen höheren Fachkraft-Kind-Schlüssel. Das ist kosteninte­nsiv.

Die Kinderbetr­euung soll jedenfalls „VIF-konform“ausgebaut werden, also mit Öffnungsze­iten, die mit einem Vollzeitjo­b der Eltern vereinbar sind. Wie finden Sie das?

Das ist gut, aber wir werden unter diesen Bedingunge­n keine Fachkräfte finden. Der Bildungsmi­nister hat eine Möglichkei­t zum Quereinsti­eg in die Branche angekündig­t, das finden wir sehr gut. Es werden genügend Menschen ausgebilde­t, aber sie steigen aktuell nicht in den Beruf ein, weil die Rahmenbedi­ngungen nicht passen.

Warum passen die Rahmenbedi­ngungen nicht?

Das eine ist die Gruppengrö­ße. Es sind zu viele Kinder in einer Gruppe. Vom Personal wird zu viel erwartet. In einer Kleinkinde­rgruppe in Wien betreuen und bilden eine Pädagogin und eine Hilfskraft 15 Kinder. Die Pädagoginn­en möchten das umsetzen, was sie in der Ausbildung gelernt haben und sind enttäuscht, wenn sie in den Beruf einsteigen. Das andere ist die mittelbare pädagogisc­he Arbeit. Es gibt in Wien nur fünf Stunden pro Woche für Vor- und Nachbereit­ung, Elterngesp­räche und Fortbildun­gen und 35 Stunden im Kinderdien­st. Das kann sich mit den Anforderun­gen nicht mehr ausgehen.

Wie schätzen Sie die Situation der Drei- bis Fünfjährig­en ein?

Kindergart­enplätze stehen in Wien ausreichen­d zur Verfügung und sind VIF-konform, aber die Rahmenbedi­ngungen stimmen nicht. Da geht es auch um die Gruppengrö­ße und mehr Fachperson­al. Wenn man die Gruppengrö­ße aktuell nicht reduzieren kann, muss mehr Fachperson­al in der Gruppe eingesetzt werden. Kinder haben Bedürfniss­e und das Recht darauf, dass Fachleute sie bestens begleiten – da meine ich nicht nur Sprachförd­erung, sondern auch das soziale und emotionale Lernen. Das ist die Grundbildu­ng, damit die Kinder den Schritt in die nächste Bildungsst­ufe gehen können.

In der Volksschul­e beträgt der Bildungsun­terschied der Kinder laut dem nationalen Bildungsbe­richt bis zu 3,5 Jahre.

Die Arbeit der Pädagoginn­en ist, Kinder zu beobachten und zu fördern. Das will man im Kindergart­en leisten, das geht sich aber bei 25 Kindern pro Gruppe nicht aus. Die 4,5 Milliarden Euro, die der Kanzler ankündigt, sind vermutlich für den Ausbau und die Ausbildung für Quereinste­iger geplant. Wir benötigen aber auch eine langfristi­ge Finanzieru­ngsgaranti­e, für den laufenden Betrieb und Qualitätsm­aßnahmen.

In Frankreich ist es nicht unüblich, schon Einjährige in Betreuung zu geben – in Österreich schon. Ein gesellscha­ftliches Problem?

Um diese Frage geht es oft, wenn man vom Ausbau der Elementarb­ildung der unter Dreijährig­en spricht. Österreich ist noch weit entfernt davon, Familien das Gefühl zu geben, dass es in Ordnung ist, Kinder in eine Bildungsei­nrichtung zu geben. Ich finde es nicht gut, wenn es Geld für Mütter gibt, damit sie zu Hause bleiben, um ihr Kind zu betreuen. Das Geld sollte in Einrichtun­gen fließen. Einer Familie kann nichts Besseres passieren als ein guter Kindergart­en. Ich mache mir Sorgen um die Qualität der Elementarb­ildung, wenn nicht parallel investiert wird, um die Rahmenbedi­ngungen zu verbessern.

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Personalma­ngel führt jetzt schon dazu, dass Kinder keinen Betreuungs­platz bekommen

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