Die Erde ist bunt
Wo wir leben. Vom Meer bis in die Berge – die Schriftstellerin und Biologin Andrea Grill lässt Tiere und Pflanzen über ihren Lebensraum reden. Kinder können so entdecken, was Artenvielfalt ist
Der Begriff Biodiversität ist sperrig – für so etwas Schönes, Buntes; für die Welt um uns herum. Andrea Grill macht die Artenvielfalt gemeinIllustratorin sam mit der Sandra Neuditschko in einem Buch sichtbar. Eigentlich ist „Bio-diversi-was?“für Kinder ab acht Jahren geschrieben. Erwachsene können aber von der Lektüre profitieren.
Denn wer weiß schon, dass die Lieblingsspeise von Urzeitkrebsen Blaualgen sind. Dass der Helle Wiesenknopf-Ameisenbläuling ein Schmetterling ist, der AmeiHaselschläft. sen imitiert. Dass die maus sieben Monate
Grill weiß, wovon sie schreibt. Sie ist Biologin. Sie war in der Forschung tätig, bevor sie anfing, Gedichte, Kinderbücher und Romane (Cherubino schaffte es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises, 2007 nahm sie am BachmannWettbewerb teil) zu verfassen. Die Artenvielfalt beschäftigte sie viele Jahre. Und tut es immer noch. Bei Kinderbüchern macht sie keine Abstriche. „Ich will die Komplexität zeigen können. Ich will nichts total vereinfachen. Das ist aber gar nicht notwendig. Man muss es nur mit anderen Worten sagen“, erklärt sie.
Die Autorin nützt dafür eine weitere Fähigkeit. Sie übersetzt. Eigentlich aus dem Albanischen, für das aktuelle Kinderbuch von Tier- und Pflanzensprachen ins Deutsche. Die Lebewesen selbst kommen in Interviews zu Wort. Der Regenwurm hegt keine Rachegefühle gegen Maulwürfe, die seinen Artgenossen ein Stück abbeißen und den erstarrten Rest als Vorrat lagern. „Solche Gedanken habe ich nicht. Ich bin zu beschäftigt mit meinem Alltag: Graben, Fressen, Wachsen, Vorsichtigsein.“
Angesprochen werden auch aktuelle Umweltschutzprobleme. Wie der Platzmangel durch Bodenversiegelung oder die intensive Landwirtschaft. Der Hamster gibt dazu Auskunft. Warum er so selten sei? „Weil kein Platz da ist. Alles zubetoniert. Und überall Ekliges. Gifte. Gifte gegen Insekten. Gifte gegen Pflanzen. Brrrrrr.“Der Lungen-Enzian spricht über seinen Rückzug. Das Seegras findet „Öl und Bauschutt“eklig, die Erdkröte hasst Straßen und Gullis.
Um in Kontakt mit den Lebewesen treten zu können, hat Andrea Grill einen Roboter erfunden. Er spürt vom Wal bis zum Luchs alle auf und führt die Interviews.
Invasion
Die Gefährdung der Artenvielfalt wird ein Thema sein, das die heutigen Kinder auch als Erwachsene beschäftigen wird. Vor Kurzem meldete sich der Weltbiodiversitätsrat zu Wort. Es komme zu einer raschen Zunahme bei invasiven Arten: Die Globalisierung, der Klimawandel und der Rückgang der Artenvielfalt öffnen neue Nischen, in die Lebewesen drängen, die dort eigentlich nicht hingehören. Sie verdrängen bisher heimische Tiere und Pflanzen. Es gehe steil nach oben, stellten die Forscher fest. „Wir haben ein Riesenproblem“, das noch zu wenig Aufmerksamkeit erhalte, erklärte Sven Bacher von der Universität Freiburg.
Die Blaukrabbe ist so ein Tier, das für Schlagzeilen sorgt. Diesen Sommer tauchte sie in großer Zahl im Mittelmeer auf und gefährdet Venusund Miesmuscheln. Italien schlug Alarm. Sie ist ursprünglich nur an der Ostküste der USA und im Golf von Mexiko heimisch. Sie kam wahrscheinlich mit den Frachtschiffen nach Europa.
Doch Andrea Grill will nicht mit Schreckensszenarien arbeiten, sondern mit Begeisterung für die Vielfalt. „Ich muss optimistisch sein, wenn ich mich an Kinder wende. Ich traue den Jungen viel zu“, erklärt sie. Es gebe auch positive Entwicklungen. Flüsse und Seen seien in Österreich viel sauberer als noch vor ein paar Jahrzehnten. In den Städten nehme die Artenvielfalt zu.
Biodiversität und Natur seien bei ihren Werken schon immer vorgekommen. Auch in den Romanen. „Das Schöne und das Notwendige“ist eine ökologische Parabel. Alle Kapitel sind nach Kaffeepflanzen benannt. Ökologie und Literatur seien nichts ganz anderes. „Auch Ökologen erzählen Geschichten, die sie finden. Man versucht dabei immer, sich in den anderen hineinzuversetzen.“