„Sexualität ist immer politisch“
Aufklärung. An der Universität Wien wird bald rund um das Thema Sex konferiert. Im Zentrum steht das Konzept der „Sex Positivity“, bei dem es um weit mehr geht als um hemmungslose Triebbefriedigung
Sexpositiv – nein, das ist keine Diagnose und genau genommen auch kein neuer Trend. Der Begriff tauchte bereits in den 1970er-Jahren auf, als Frauen begannen, für ihre Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung zu kämpfen. Seit einigen Jahren wird das Schlagwort Sex Positivity hauptsächlich mit erotischen Partys in Verbindung gebracht, die sich langsam unter Millennials und in der Generation Z etablieren. „Das ist ein häufiges Vorurteil: Dass es nur darum geht, mit möglichst vielen Menschen möglichst viel Sex zu haben“, sagt Reinhard Gaida, Lebensund Sozialberater und Leiter der Schwelle Wien (siehe re.).
Um das zu ändern, hat Gaida eine Sexpositiv-Konferenz organisiert, die das Thema aus dem Schmuddeleck holen soll. Erstmals findet sie an der Uni Wien statt – mit Vortragenden aus den Bereichen Medizin, Psychologie sowie von der Aids-Hilfe
Wien. „Wir sind stolz, dass das Thema im universitären Kontext angekommen ist und als das gesehen wird, was es ist: Bildung“, sagt Gaida.
Kein Kuss ohne Konsens Die Philosophie der Sex-Positivität bedeutet, dass Sexualität grundsätzlich als etwas Positives, ein Quell der Gesundheit und Lebensfreude, wahrgenommen wird. „Dabei geht es auch darum, andere sexuelle Orientierungen zu akzeptieren, oder Menschen, die bewusst auf Sex verzichten“, erklärt Gaida. Alles ist erlaubt, solange das SSCPrinzip (safe, sane, consensual – sicher, gesund, einvernehmlich) eingehalten wird. Der Aufklärungsbedarf ist groß, das zeigt sich an den aktuellen Vorfällen in der Clubszene
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oder am Eklat um den spanischen Fußballverbandschef, der eine Spielerin ohne ihr Einverständnis küsste. „Es muss klar sein, dass sowas nicht geht“, sagt Gaida. „An den #MeToo-Skandalen sieht man, dass Sexualität nicht ins Private gehört. Sie ist immer politisch.“
Zu oft, sagt Gaida, habe er beim Fortgehen dieselbe Szene beobachtet: Die Frauen tanzen, die Männer stehen am Rand und trinken Alkohol. „Dann wird eine Frau angesprochen und belästigt. Das ist kein gesundes Verhalten.“
Hier setzen die Sexpositiv-Partys an, die in Wien etwa vom Kunst- und Kulturverein Hausgemacht organisiert werden. Sexuelle Handlungen sind zwar möglich, im Vordergrund aber stehen Konsens und eine respektvolle Haltung gegenüber allen Körpern, Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierungen. „Personen stehen nicht frei, um angegrabscht und angestarrt zu werden“, wird auf der Website betont.
Neue Offenheit
Warum das Konzept gerade in der Generation der heute 20- bis 40-Jährigen so gut ankommt? „Die heutige sexpositive Bewegung bricht gesellschaftliche Stereotypen auf“, erklärt die Sexualberaterin Doris Kaiser. „Viele junge Menschen möchten sich nicht mehr länger dem Diktat der monogamen Zweierbeziehung unterwerfen“, beobachtet sie. „Sie stellen klassische Rollenbilder und traditionelle Beziehungsformen infrage. Es gibt viel weniger Tabus als in früheren Generationen.“
So sprechen auch bekannte Persönlichkeiten immer häufiger öffentlich über sexuelle Gesundheit, persönliche Erfahrungen oder Probleme im Schlafzimmer. Von der Idee der Sexpositivität können auch traditionelle Paare profitieren, betont die Beraterin. „Gerade Frauen hadern oft sehr mit ihrem Körper, schämen sich für ihre erotischen Fantasien oder trauen sich nicht, ihre Wünsche zu äußern. Sexpositive Menschen übernehmen Verantwortung für sich selbst, erkunden ihre Bedürfnisse und, ganz wichtig: ihre Grenzen.“
DANKE