Nackt tanzen, nein sagen und niemals werten
Zwei Frauen erzählen, welchen Stellenwert Sex-Positivität in ihrem Leben einnimmt
Vor zehn Jahren hat die 28jährige Lucy erstmals eine Veranstaltung in der Schwelle besucht. „Sowohl in der Schule als auch in meiner Familie wurde Sexualität immer stark tabuisiert“, erzählt die Wienerin, die gerade eine Ausbildung zur Verhaltenstherapeutin absolviert. „Als junges Mädchen hatte ich viele Fragen, doch mir hat niemand was dazu erklärt. Das finde ich schwierig, weil man nicht weiß, wie man Grenzen erkennen soll, was man erwarten soll.“
In der Schwelle sei ihr die Konsens-Kultur positiv aufgefallen. Drogen und übermäßiger Alkoholkonsum sind verboten, hinein darf nur, wer sich an die Regeln hält. Zu sexuellen Handlungen kommt es nur dann, wenn beide eindeutig „Ja“dazu sagen. Es wird offen über Sex gesprochen, aber auch über alles andere.
„Ich musste dort keine Angst haben, dass jemand Grenzen überschreitet. Man fragt, bevor man jemanden angreift. Ich kannte das eher vom Fortgehen, dass die Leute sagen: Stell dich nicht so an, du willst es ja eh.“
Female Choice
Auch Mel Merio, 44, ist regelmäßig in der Schwelle anzutreffen. Die DJane und psychologische Beraterin bietet unter anderem „Ecstatic Dance“-Workshops an, bei denen – frei von Scham und Bewertung – nackt getanzt werden kann. „Es ist mir wichtig, dass der nackte Körper entsexualisiert wird“, sagt sie. Zu einer sexpositiven Haltung gehöre auch die Body Positivity, eine neutrale bis wertschätzende Betrachtung des eigenen (und fremden) Körpers.
Dass sie sexpositiv lebt, hat Merio irgendwann „intuitiv gespürt“. „Ich bin sehr offen und experimentierfreudig, rede gerne über Sex und Selbstausdruck. SexPositivität ist eine Philosophie.
Die Leute glauben, es geht um Swingerpartys usw. Dabei ist es ursprünglich eine feministische Bewegung, die das Recht der Frau auf ihren eigenen Körper in den Mittelpunkt stellt.“
Ohne Label
Für Lucy bedeutet Sex Positivity auch, die Sexualität von anderen anzunehmen. „Es ist auch okay, wenn jemand keine Lust empfindet. Es ist wichtig, dass man nicht wertend ist.“Das Prinzip der Sex-Positivität spiegelt sich auch in ihrer eigenen Beziehung wider. „Ich war auch schon mit meinem Partner gemeinsam auf Partys. Wir geben unserer Beziehung kein Label, aber wenn sich jemand mit anderen treffen möchte, ist das auch okay. Es wird einfach sehr offen kommuniziert.“
Eine gesunde Beziehung kann nur führen, wer sich selbst und seine Bedürfnisse kennt, ist Merio überzeugt. Auch dabei habe ihr die Idee der Sex-Positivität geholfen. „Es ist mehr als nur die Haltung zur eigenen Sexualität, sondern ein sich selbst Erforschen, wissen, was man will, vor allem sich selbst und der anderen Person Raum geben. Ein Nein kommunizieren, aber auch annehmen können.“