Die süße Kardinalsschnitte wird 90
Angeblich sei sie meine Lieblingsspeise, werben verschiedene Konditoreien rund um den Stephansdom. Ihre Entstehung hat tatsächlich einen kirchlichen Bezug: Der Konditor und praktizierende Katholik Ludwig Heiner hat sie dem damaligen Kardinal Dr. Theodor Innitzer anlässlich des Katholikentages im September 1933 gewidmet. Die luftig-leichte weiße Eischneemasse und der gelbe Biskuit weisen auf die vatikanischen Kirchenfarben hin, die Marillenmarmelade auf das Kardinalspurpur. Hintergrund des katholischen Großereignisses in dieser schwierigen Zeit waren das 500-Jahr-Jubiläum der Vollendung des Südturms von St. Stephan 1433 und das 250-Jahr-Jubiläum der Abwehr der Türkischen Heere vor Wien 1683.
Das Arbeiterkind Innitzer war als Priester, Universitätsprofessor und Rektor sowie ab 1929 als Sozialminister segensreich tätig. 1932 zum Wiener Erzbischof ernannt, bewies er dann in den politischen Wirren nicht immer eine glückliche Hand. So ließ er sich seine Zustimmung zum nationalsozialistischen Anschluss Österreichs abringen, artikulierte andererseits aber gerade in seimutigen ner Predigt beim Rosenkranzfest der katholischen Jugend 1938 im Dom seine eigentliche Haltung. Deshalb kam es einen Tag späzum ter tragischen Sturm auf das Erzbischöfliche Palais. Die religionsverhöhnende und kirchenfeindliche Ideologie zeigte ihre Fratze. Dank der ebenso mutigen Einrichtung der „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“überlebten unzählige getaufte Jüdinnen und Juden. Und im „Hirtenbrief“von 1941 hielt er der polizeilichen Verordnung zum Tragen des Judensterns die Liebe ohne Grenzen und die Verpflichtung zur Solidarität ohne Rücksicht auf Rasse und Religion entgegen.
Meine letzte Kardinalsschnitte habe ich sehr genossen – aber deutlich nachdenklicher. Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan