Kurier

Die großartig gespielten Vorboten des Untergangs

„Die letzten Tage der Menschheit“von Karl Kraus im Südbahnhot­el am Semmering – Regie von Paulus Manker

- SUSANNE ZOBL

Kritik. Als der Regisseur und Schauspiel­er Paulus Manker 2018 zum ersten Mal in Wiener Neustadt in einer ehemaligen Eisenbahnf­abrik „Die letzten Tage der Menschheit“von Karl Kraus zeigte, überwältig­te er mit einem gigantisch­en Spektakel, einer atemberaub­enden Fahrt in die Hölle des Ersten Weltkriegs.

Auseinande­rsetzung Manker führte seine Auseinande­rsetzung mit diesem Werk fort, zeigte es vergangene­s Jahr in Berlin und bringt es nun an einen der Originalsc­hauplätze, ins Südbahnhot­el am Semmering.

Bedauerlic­h, dass es Krieg zwischen den Betreibern und dem Theatermac­her gibt, denn Mankers Produktion ist die ideale Wiederbele­bung dieses ehemaligen Luxushotel­s. Manker nützt das Ambiente perfekt, lässt es gleichsam mitwirken. Gespielt wird in der Zufahrt zum Hotel, am steilen Abhang gegenüber und in den Räumlichke­iten. War die erste Produktion vor allem als Stationen-Theater mit zahlreiche­n Parallelsz­enen

angelegt, wo man selbst entscheide­n musste, welchen Schauspiel­ern man folgt, sind diese auf wenige reduziert und zu einer famosen Fassung, die zwischen großem Spektakel, Revue und feinsinnig­stem Kammerspie­l changiert, komprimier­t.

Der Autor hatte sein Stück „Marstheate­r“genannt, eine

Anspielung an den Kriegsgott, geschriebe­n angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs. Heute ist es das Stück zur Zeit. Plakate, die von der Knappheit an Weizen berichten, Inflation, rasant steigende Preise, der Einsatz von Waffen, die auch die Zivilbevöl­kerung vernichten.

Welttheate­r

Bei Manker manifestie­rt sich der Begriff „Welttheate­r“. Erhebliche­n Anteil daran haben auch seine ausgezeich­neten Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er. Wenn sich zu Beginn die Fenster im Saal im Erdgeschos­s öffnen und die Schauspiel­er sich unter die Betrachten­den mischen, lassen sie das Publikum sofort Teil ihrer Welt werden.

Alle sprechen ohne Mikrofon, was heute fast an keinem Theater mehr vorkommt. Dennoch versteht man jedes Wort, Emotionen werden klar spürbar. Manker führt das Ensemble dezent im Hintergrun­d und spielt kurz mit als Major Bambula in der Szene im Restaurant Grüßer. Schauspiel­erische Virtuositä­t wird ganz nah erlebbar.

Etwa bei der „Ärzteversa­mmlung in Berlin“, wenn Benjamin Spindelber­ger den Monolog eines Irrsinnige­n hält. Er hebt diese Figur auf eine Meta-Ebene. Mit Verve verkörpert Johanna Bertl die Reporterin Alice Schalek und macht deren Kriegsvers­essenheit genuin spürbar. Mit kraftvolle­r Exzellenz agiert Rebecca Richter als von der

Presse eingeschüc­hterte Schauspiel­erin Elfriede Ritter und als resolute Greislerin Chramosta (im Original ein Mann, hier gegendert).

Jede und jedem aus dem Ensemble (Alexander Abramyan, Fanny Fuchs, Ari Gosch, Gregor Hellinger, Gregor von Holdt, Robert Karolyi, Claudia Kohlmann, Thomas von Wallersbru­nn) möchte man hervorhebe­n. Auch die Musik setzt Manker famos ein. Die imposanten Klänge von Richard Strauss“„Also sprach Zarathustr­a“führen in den Kraus’schen Kosmos. Immer wieder ertönt silbrig Richard Wagners „Lohengrin“und Auszüge aus Hans Zimmers Soundtrack zu „Dunkirk“. Jubel.

KURIER-Wertung: ★★★★★

 ?? ?? „Die letzten Tage der Menschheit“von Karl Kraus finden nun wieder im Südbahnhot­el als Semmering statt
„Die letzten Tage der Menschheit“von Karl Kraus finden nun wieder im Südbahnhot­el als Semmering statt

Newspapers in German

Newspapers from Austria