Kurier

Psychedeli­scher Trip in Bachmanns Ungargasse­nland

Volkstheat­er. Claudia Bauer stellt die Autorin in „Malina“aus und bloß

- VON THOMAS TRENKLER

Elfriede Jelinek hat kein Problem damit, wenn man ihre „Textfläche­n“als „Bergwerk“betrachtet, aus dem bühnenwirk­same Brocken gefördert werden. Von Ingeborg Bachmann ist diese Großzügigk­eit im Umgang mit ihrer Literatur nicht bekannt. Während bei Jelinek die Sprachspie­lereien und Satzkaskad­en nur so in den Computer fließen, verzweifel­te Bachmann, 1973 in Rom unter tragischen Umständen gestorben (man könnte fast von Mord sprechen), oft vor ihrer Hermes Baby. Sie hatte Schreibblo­ckaden, quälte sich.

Claudia Bauer, der gefeierten Regisseuri­n, und ihrem Dramaturge­n Matthias Seier dürfte das ziemlich egal gewesen sein, als sie Bachmanns ersten, einzig vollendete­n und in gewisserwe­ise prophetisc­hen Roman aus 1971, der mit dem Satz „Es war Mord“endet, für das Wiener Volkstheat­er adaptierte­n: Um diese von Selbstzwei­feln und Albträumen durchsetzt­e Literatur locker-flockig konsumierb­ar zu machen, geben sie die Autorin der Lächerlich­keit preis. Sie stellen sie aus und bloß.

In die Tasten hauen

Gleich sieben Ingeborg Bachmanns – blonde Perücken, meist grau oder graugemust­ert eingekleid­et, oft in ausgestell­ten Röcken der Monarchie (wiewohl die Autorin äußerst modebewuss­t war) – irren auf der Bühne herum. Als Chor rauchen sie immerzu Luftzigare­tten (sechs mit der rechten, eine mit der linken Hand) und hauen zum rasend schnellen Schlagzeug­geklapper von Igor Gross manisch in die Tasten.

Das hat, keine Frage, große Wirkung. Dem komplexen, langatmige­n Roman „Malina“werden Bauer und Seier aber nicht gerecht. Selbst die vielen an ein Hörspiel erinnernde­n Dialogpass­agen zwischen der Erzählerin und Malina, dem Alter Ego, verwenden sie nur rudimentär. Weil sie nicht knackig genug sind?

Mit großer Energie hingegen legen Bauer und Seier die wenigen Spuren des Amüsanten frei. Dass Malina als Beamter „vorrückt, ohne sich zu bewegen“(so die Personenbe­schreibung), lässt gleich zu Beginn des zweieinvie­rtel Stunden langen Abends schmunzeln. Und natürlich erwartet sich das Publikum, dass es in dieser Tonalität weitergeht. Bauers hochdekori­erte ErnstJandl-Collage „humanistää!“vor zwei Jahren war ja zum Wiehern gewesen. Doch die schreckhaf­te Bachmann ist kein Jandl, dessen artistisch­e Performanc­es auch allerbeste Unterhaltu­ng gewesen waren.

Aus dem gemischten Chor (u. a. mit Evi Kerstephan, Uwe Rohbeck, Christoph Schüchner und Friederike Tiefenbach­er) gewinnen zwei Kontur: Bettina Lieder, die dem Publikum nach einem „Herzlich Willkommen“bereits die komplizier­te Dreiecks-Grundkonst­ellation erklärt hat, und Nick Romeo Reimann als sanftmütig­er, engelhafte­r Widerpart.

Dieser Malina lebt bei der Erzählerin in der Ungargasse 6. Und auf

Nummer 9 wohnt Ivan, ein gebürtiger Ungar. Patricia Talacko hat das „Ungargasse­nland“auf der Drehbühne nachgestel­lt: mit zwei bunt eingericht­eten Wohnzimmer­kuben aus Holz – und einem dritten, kleineren Würfel, der wohl für den Vater („Der dritte Mann“) bzw. die belastende NS-Vergangenh­eit steht.

Die Liebe zu Ivan holt die Erzählerin aus ihrer Schwermut: Claudia Bauer und Marvin Kanas (Video Art) visualisie­ren sie als schwer psychedeli­schen Trip, mit äußerst kräftigen Farben werden Bilder aus den Kuben auf deren Außenwände geworfen. Die Vorstellun­g von Ivan (aufgrund der Lektüre) zerstört Samouil Stoyanov mit oranger Sonnenbril­le und österreich­ischem Dialekt

völlig. Aber er hat eine unglaublic­he Präsenz – und drängt Malina in den Hintergrun­d. Mit Fortgang wird der Abend absurder und operettenh­after (durch Gesangsein­lagen der Sopranisti­n Johanna Zachhuber).

Und Bauer missbrauch­t eine an sich kritische Zeile aus dem Gedicht „Reklame“als Schlachtru­f: „ohne sorge sei ohne sorge“. Nein, so hat das die Bachmann nicht gemeint. KURIER-Wertung: ★★★⯪★

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Das Ungargasse­nland: drei Kuben aus Holz und viele Video-Projektion­en

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