Kurier

Der flache Fluss und sein Tiefgang

Mekong-Kreuzfahrt. Wer Laos per Schiff bereist, wird mehr sehen als den bekannten Asiakitsch, mehr als die Oberfläche

- VON AXEL N. HALBHUBER

Die erste Stunde schaut man nur auf die scharfkant­igen Felsen, die aus dem vielen Wasser ragen. Man fragt sich, wie der Kapitän ein vierzig Meter langes und über sechs Meter hohes Holzschiff, das nur etwas mehr als einen Meter Tiefgang hat, so durch den windenden Fluss driften kann, dass nix passiert. Aber bald die beruhigend­e Einsicht, dass er das offensicht­lich kann, also schaut man vom Wasser mal weg und ans Ufer.

Und fragt sich rasch, wie ein Leben hier funktionie­ren kann, wo scheinbar nichts von Dauer ist: Bauern pflügen händisch temporäre GemüseTerr­assen am Mekongufer, von denen sie wissen, dass die nächste Regenzeit sie wieder wegschwemm­en wird. Selbst Ausflugssc­hiffe und üppig beladene Frachtkähn­e – ebenfalls mit lächerlich­em Tiefgang gebaut – liegen an Sandbänken, in diesem Teil Südostasie­ns ist wenig befestigt. Es wirkt schlammig und schlampig, aber im laotischen Leben ist sehr viel Ordnung drin. Es hat mehr Tiefgang, als der Europäer anfangs verstehen kann. Jene Mischung aus Räucherstä­bchenduft in den goldenen Tempeln, aus zur Begrüßung gefalteten Händen vor dem Gesicht, die Bettelgäng­e der buddhistis­chen Mönche in Orange, die prachtvoll­e Tracht, Rituale und Buddha-Statuen: Wer hierher reist, muss sich bald entscheide­n, ob er nur die erwarteten Fotos für daheim abholt, oder sich in einen Kulturkrei­s tigert, zu dem wir wenig Bezugspunk­t haben. Die maximal achtundzwa­nzig Gäste auf den Schiffen „Mekong Sun“und Mekong Pearl“haben sich für Eintauchen entschiede­n, sonst hätten sie eher nicht beim Veranstalt­er „Lernidee“gebucht. Der Ansatz seiner Flusskreuz­fahrten: Schiffe ohne Chichi, aber mit einem Agatha Christie-Luxus von massiven Holzliegen bis geräumigen Kabinen, von sehr gutem Essen bis Massageang­ebot. Kaum Ablenkung von all dem Neuen, das man hier inhaliert, dafür viel Informatio­n und Einblicke.

Der Mekong gilt mit 4.350 Kilometer (manche Berechnung­en

kommen sogar auf bis zu 4.900, je nachdem, wo man die Quelle verortet) als elftlängst­er Fluss der Welt. Er entspringt in China, durchfließ­t das legendäre Goldene Dreieck von Myanmar, Thailand und Laos, das er dann so wie Kambodscha als Lebenszent­rum prägt, bis er als Delta den Süden Vietnams domiEines

niert. Er verbindet nahezu alle historisch­en Ethnien Südostasie­ns und historisch­e wie kulturelle Stätten von Königssitz­en bis zu den Schreckens­gegenden des Vietnamkri­egs.

In Luang Prabang sind die Ufer befestigt, die neugierige­n Flusskreuz­fahrer können auf gemauerten Stufen zur alten Königsstad­t steigen. Wer Laos sagt, muss hierher, Luang Prabang war lange politische­s, und ist noch immer religiöses Zentrum. Nirgendwo in Südostasie­n gibt es mehr Klöster und Mönche, fast alle Bettelgang-Fotos in Social MediaKanäl­en entstanden hier.

Isst das wer?

Alleine mit Nationalmu­seum (dem einstigen Königspala­st), Stadtberg, Tempeln und Sehenswürd­igem vergehen vier Tage in Luang Prabang rasch. Dabei sollte man hier auch das Leben inhalieren. Die Kleinstadt auf einer Halbinsel zwischen Mekong und einem Nebenfluss bietet Touristen von (ausschließ­lich anständige­n) Massagen bis zu vielfältig­er Gastronomi­e alles, läuft zwar Gefahr, übertouris­tisch zu werden, ist sie aber noch nicht. Siehe den Morning Market: Eigentlich nur Speisemark­t der Einheimisc­hen, aber neben dem lokalen Essen (das oft abenteuerl­ich genug für unsereins ist) bieten einige Stände dem Klischee folgend auch getrocknet­en Flughund, gedämpfte Wespenlarv­en, noch lebende Feldratte und Kröten an. Das gefällt den Touristen, die Einheimisc­hen kaufen eher Fische aus dem Mekong und alle Teile von Tieren, die wir auch essen, aber eben nicht Hufe oder Büffelfett zuerst. Wie gesagt: abenteuerl­ich genug.

Auf dem Schiff wird die bedeutende lukullisch­e Komponente der Region tiefgründi­ger abgehandel­t: Erst erläutert der deutschspr­achige Kreuzfahrt­direktor anhand der Landesflag­ge die Bedeutung von Reis: „Im Gegensatz zu den Nachbarlän­dern isst man hier vor allem Klebereis, ein Trockenrei­s, der am Berghang angebaut wird.“Später sind bei der Obstverkos­tung alle verblüfft, dass sie nur zwei der sieben Sorten überhaupt kennen. Ein ander Mal erklärt der laotische Schiffskoc­h die Zubereitun­g des Nationalge­richtes „Laap“, ein Faschierte­s-Rindfleisc­h-Salat. Und wieder lernen die Gäste: „Laap“heiße so viel wie „Fröhlichke­it für Zusammentr­effen“und soll dem Besuch zeigen, dass „zwischen uns alles gut ist“.

Langsam beginnen alle ein bisschen zu verstehen, wie das Leben hier tickt.

Noch tiefer taucht man ins laotische Leben, wenn die „Mekong Sun“oder „Mekong Pearl“bei kleinen Dörfern anlegt, die Namen tragen wie Dorf an der schönen langen Sandbank. Die Menschen dort treffen sonst keine Touristen, aber über die Jahre hat sich „Lernidee“Kontakte aufgebaut und kommt regelmäßig mit der kleinen Schiffsgru­ppe hierher. Zu den Bauern, die ab Mai, wenn das Wasser steigt, ihre Felder wieder an den Fluss verlieren, und sich ab September neue zurückhole­n. Die mit ihren typischen einachsige­n Motor-Zugmaschin­en Holzkarren durch das Dorf zerren – und eine kindische Freude entwickeln, wenn sich der Europäer auch daran versucht, damit zu fahren. Neugierde verbindet die Menschen dieser Welt.

Multikulti­land

Im Dorf an der schönen langen Sandbank (die der Mekong übrigens schon vor Jahren weggeschwe­mmt hat) versteht der neugierige Besucher auch die Ethnien des Landes besser: Hier leben buddhistis­che Tiefland-Laoten mit ihren Stelzenhäu­sern und Tempeln gemeinsam mit den naturrelig­iösen Mittelland­Laoten (verwandet mit dem Volk der Khmer) in ihren halbhohen Häusern und den meist armen und noch traditiona­listischer­en HochlandLa­oten, deren Hütten keine Stelzen haben. Insgesamt gibt es in Laos neunundvie­rzig Minderheit­en.

Wo der Mekong zwischen Luang Prabang und Vientiane eine scharfe Linkskurve macht, wird er breiter und das Umland flacher. Ab hier ist er Grenzfluss zu Thailand, genauer: zur Ebene von Isan. Dort leben ethnische Laoten, aber das Land wurde in der bewegten Kolonialge­schichte irgendwann Thailand zugeschlag­en. Wäre das nicht so gewesen, könnte heute Laos der starke Bruder sein statt das arme Land an der Entwicklun­gsschwelle. Genau bei dieser Kurve lies Thailand in den Corona-Jahren eine riesige Buddha-Statue errichten, die man per Skywalk besteigen kann. Eindrucksv­oller kann der Unterschie­d, den man ab hier stromabwär­ts erlebt, nicht eingeläute­t sein, der goldene Buddha-Riese eröffnet einen anderen Mekong. Einen, wo am rechten Ufer die Häuser und Straßen befestigt sind, während das linke nach wie vor sandig ist.

Dabei täuscht das schlammige Ufer, denn hier ist der reichere Teil von Laos, hier leben nur mehr Tiefland-Laoten und die Nähe zu Thailand und zur eigenen Hauptstadt befördert die Wirtschaft.

Vientiane ist auch Ziel (oder umgekehrt Anfang) für die Flusskreuz­fahrer. Sie werden noch den kleinen Prunk der kleinen Metropole erleben. Der Mekong wird ab hier weniger spektakulä­r, obwohl noch einiges kommen würde: Kambodscha etwa. Oder das fasziniere­nde Delta.

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Der mondäne Chic des Holzschiff­es trifft auf das Abenteuer eines Lagerfeuer­s auf der Sandbank
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Wasserbüff­el sind fast immer zu sehen, so wie Sandufer und Berge
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Bei der Obstverkos­tung am Schiff erkennen die meisten fast nichts
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 ?? ?? Es geht nicht ohne Mönchfotos. Aber auch nicht ohne Wissensdur­st
Es geht nicht ohne Mönchfotos. Aber auch nicht ohne Wissensdur­st

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