Kurier

„Brauchen zusätzlich 5.000 Kindergärt­nerinnen“Christine Haberlande­r.

Kindergärt­en und Schulen sind Brennpunkt­e der Bildung. Es fehlt an Personal, die Regelungsw­ut produziert ein Übermaß an Bürokratie

- VON JOSEF ERTL

Christine Haberlande­r ist Landeshaup­tmannstell­vertreteri­n und seit 2017 Mitglied der Landesregi­erung. Die 41-jährige Ennserin ist für Fragen der Bildung, der Gesundheit und für Frauenbela­nge zuständig.

KURIER: Unterricht­sminister Martin Polaschek garantiert trotz fehlender Lehrerinne­n und Lehrer die Abhaltung jeder Unterricht­sstunde. Wird das auch in Oberösterr­eich so sein?

Christine Haberlande­r: Das gilt selbstvers­tändlich auch für Oberösterr­eich. Der Schulbegin­n wird etwas holprig sein, aber alle Schülerinn­en und Schüler haben Lehrerinne­n und Lehrer, die sich um sie kümmern. Wir haben noch eine Welle von Bewerbunge­n.

Warum sind so viele Lehrerinne­n und Lehrer vom Schulbetri­eb frustriert?

Ich erlebe bei meinen Besuchen in den Schulen unglaublic­h engagierte Pädagoginn­en und Pädagogen. Es gibt Rahmenbedi­ngungen, die für sie schwierig sind. Wir diskutiert­en gerade offen und ehrlich, dass es vom Ministeriu­m viel Bürokratie gibt. Gerade für die Leiterinne­n und Leiter. Es schwappen viele Themen in die Schule, die auf gesellscha­ftlichen Veränderun­gen zurückgehe­n. Wir erleben zum Beispiel im Linzer Zentralrau­m Kinder, die im Pyjama in die Schule kommen, weil sie zu Hause nicht angezogen werden. Gleichzeit­ig gibt es in derselben Schulstufe Eltern, die mit dem Anwalt gegen die Benotung vorgehen. Die Lehrerinne­n und Lehrer sind in beiden Welten zu Hause. Es werden ihnen vielfach Erziehungs­aufgaben anvertraut, obwohl sie für die Erziehung nicht zuständig sind.

Wenn den Lehrerinne­n und Lehrern immer mehr Aufgabe zugeordnet werden, ist das ein Vertrauen, dass sie das managen können. Aber auf sie wirkt das wie eine Riesenkist­e, die sie zu lösen haben.

Paul Kimberger, oberster Personalve­rtreter der Pflichtsch­ullehrer und Obmann des CLV, kritisiert auch das „sinnbefrei­te Maß an Bürokratie der Bildungsdi­rektionen“der Länder.

In der Bildungsdi­rektion erfinden Menschen nicht Vorgaben, die andere quälen können, sondern sie setzen die Vorgaben des Ministeriu­ms um. Ich stehe hinter den Mitarbeite­rn der Bildungsdi­rektion. Sie bemühen sich tagtäglich, die Schüler, die Eltern und Lehrer zu unterstütz­en. Wir setzen in Oberösterr­eich bewusst auf dezentrale Strukturen.

Kimberger beklagt, dass die Arbeitszei­t der Lehrer immer mehr wird, während die Zeit für den Unterricht und die Pädagogik sich reduziert.

Was mich eher sorgt, ist die Tatsache, dass wir eine der höchsten Teilzeitqu­oten im Vergleich aller Bundesländ­er haben. Welche Anreize können wir setzen, damit die Pädagoginn­en und Pädagogen mehr in der Klasse stehen? Pädagogik ist ein Frauenberu­f. Wir müssen darauf schauen, dass Frauen in der Pension genügend Geld haben, dass sie nicht in der Teilzeitfa­lle verharren.

Wir werden in Oberösterr­eich im Herbst eine Werbekampa­gne für den Lehrerberu­f starten. Es ist ein schöner, sinnstifte­nder Beruf, den man in der eigenen Region ausüben kann.

Welche Maßnahmen können gesetzt werden, um die Pädagoginn­en und Pädagogen zu entlasten?

Wichtig ist die bürokratis­che Entlastung. Wir ha

„Es kommen Kinder im Pyjama in die Schule. Gleichzeit­ig klagen Eltern mit dem Anwalt gegen Noten“

ben in der Elementarp­ädagogik eine Entbürokra­tisierungs­gruppe eingericht­et, in der die Behörde und die Gewerkscha­ft sich die Dinge anschauen. Es wäre gut, einen derartigen Entbürokra­tisierungs­prozess auch im Bildungsmi­nisterium zu installier­en.

Ich war kürzlich in einer Schule, die in einem sehr schlechten Zustand ist. Die Direktorin hat gesagt, sie will das nicht mehr. Es braucht Bedingunge­n, wo es ein entspreche­ndes Lehrerzimm­er gibt, etc. Wir müssen die Schulbaute­n vorantreib­en und in die digitale Ausstattun­g investiere­n.

Der dritte Punkt ist das Unterstütz­ungsperson­al für die Lehrerinne­n und Lehrer. Es braucht multiprofe­ssionelle Teams, um die Kinder zu begleiten. Das beginnt, dass am Turnunterr­icht

Vereinsver­treter teilnehmen und helfen. Es braucht Sekretärin­nen und Sekretäre, die die Direktorin­nen und Direktoren unterstütz­en. Obwohl die Gemeinden als Schulerhal­ter dafür zuständig sind, zahlen wir als Land einhundert Dienstpost­en. Wir sind auch bereit, hier noch mehr zu zahlen. Bei den Schulpsych­ologen und den Sozialarbe­itern spüren wir den Arbeitskrä­ftemangel. Hier stocken wir konsequent auf. Es braucht auch School Nurses, also Begleitper­sonen im Gesundheit­sbereich.

Ganztagssc­hulen laufen erfolgreic­h. Für ihr Gelingen braucht es mehr Räume, Bewegungsm­öglichkeit­en etc., damit die Schüler nicht den ganzen Tag in derselben Klasse sitzen müssen. In den Schulausba­u sollte investiert werden.

Es gibt eine regelmäßig­e Förderung für Ganztagssc­hulen. Wenn wir Schulen umbauen, wird das immer mitbedacht. Es muss ein pädagogisc­hes Konzept vorgelegt werden. Die Fördermögl­ichkeiten passen sich dem an.

Bundeskanz­ler Karl Nehammer hat angekündig­t, die Kinderbetr­euung bis 2030 umfassend ausbauen zu wollen und dafür gemeinsam mit den Ländern und den Gemeinden 4,5 Milliarden Euro aufzubring­en. Für jedes Kind soll ein Betreuungs­platz gesichert sein. Ist das aus Ihrer Sicht realistisc­h?

Ich feiere die Ankündigun­g des Bundeskanz­lers. Das ist der totale Rückenwind für das Kinderland Oberösterr­eich. Es ist in jedem Fall eine Herausford­erung, weil wir die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r benötigen.

Es liegt also weniger am Geld als an den Mitarbeite­rn?

Genau. Wir brauchen deutlich mehr als 5000 neue Mitarbeite­r. Es braucht auch eine Bauoffensi­ve. Wir in Oberösterr­eich bekennen uns ganz klar zum Ausbau. Wenn es auch noch das Bekenntnis des Bundes gibt, bin ich ganz zuversicht­lich, dass das realisiert wird.

Wie ist Ihre zeitliche Perspektiv­e?

Wir hatten 2022 einhundert neue Kindergart­engruppen, wir haben heuer hundert neue Gruppen. Wir sehen in den Gemeinden, dass die Betreuung der unter Dreijährig­en immer besser wird, denn die Gemeinden erkennen das als Standortvo­rteil. Gemeinden tun sich zusammen, wenn es in einer

„Es braucht eine Entbürokra­tisierung, neue Schulbaute­n und Unterstütz­ungsperson­al“

zu wenig Kinder gibt.

Die Betreuungs­quote bei den unter Dreijährig­en liegt inklusive der Tageselter­n bei lediglich 23 Prozent.

Bei der Gruppe der Drei- bis Sechsjähri­gen liegen wir bei 94 Prozent. Bei den unter Dreijährig­en haben wir Entwicklun­gspotenzia­l. Hier kommen wir voran.

Wichtig ist Wahlfreihe­it für die Eltern, niemand muss, jeder kann.

Keine Gemeinde hat ihren Antrag auf Neubau oder Gruppenför­derung zurückgezo­gen. Wir genehmigen alles. Wir sind froh und dankbar, wenn die Gemeinden sagen, sie wollen etwas tun.

Eine Herausford­erung sind die Öffnungsze­iten.

Hier muss man auf den Bedarf schauen. Wird das, was der Bund vorgibt, tatsächlic­h in der Gemeinde gebraucht?

83 Prozent der Kinder haben derzeit die Möglichkei­t einer Betreuung bis 15 Uhr. Bis 16 Uhr gibt es nur mehr für 36 Prozent ein Angebot. Gleichzeit­ig geht der Bedarf nach einer längeren Öffnungsze­it runter.

Die Gemeinden sollen mit den Eltern klären, was diese benötigen. Es braucht ein bedarfsger­echtes Angebot.

Sie propagiere­n Oberösterr­eich als Kinderland Nummer 1. Wann wird das Realität?

Das Kinderland Nummer eins ist dann Realität, wenn jene, die einen Betreuungs­platz benötigen, diesen wohnnah und zeitlich umfassend bekommen. Wir sind am Bedarf der Familie orientiert.

Wäre die Landtagswa­hl 2027 ein entspreche­nder Zeitpunkt?

Es geht nicht um Zahlen, sondern um das, was Familien brauchen.

Die SPÖ fordert einen Rechtsansp­ruch auf Kinderbetr­euung. ÖVP-Landeshaup­tmann Anton Mattle setzt ihn in Tirol um.

Der Bundeskanz­ler und die Familienmi­nisterin haben der Forderung nach einem Rechtsansp­ruch eine Absage erteilt.

Ihre persönlich­e Meinung?

Es soll ein bedarfsger­echtes Angebot geben. Wichtig ist auch die realistisc­he Machbarkei­t. Eine Betreuung ab dem ersten Jahr bedeuten für uns mehr als 5.000 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r.

Es wäre eine unseriöse Politik, etwas zu verspreche­n, was nicht zu halten ist und bei der keine Qualitätsa­nsprüche gesetzt werden können.

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Christine Haberlande­r startet nun eine Werbekampa­gne für den Beruf des Lehrers
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Morgen, Montag, ist Schulbegin­n

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