Kurier

22 Jahre, keine Gerechtigk­eit

Das Tribunal gegen die 9/11-Haupttäter könnte mit einem anrüchigen „Deal“enden. Angehörige der Opfer kämpfen weiter

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Brett Eagleson war 15, als sein Vater John Bruce im SüdTurm des World Trade Centers am 11. September 2001 starb; gemeinsam mit rund 3000 anderen Menschen.

Seither hat der 37-Jährige sein Leben in den Dienst der Aufklärung von „9/11“gestellt. Aufklärung heißt für Eagleson „Transparen­z und Verantwort­ung“. Dazu zählt Brett, dass den fünf mit der Todesstraf­e bedrohten Hauptdraht­ziehern endlich der finale Prozess gemacht wird. Sie sitzen seit 17 Jahren in Guantanamo Bay auf Kuba fest.

Zum heutigen 22. Jahrestag der epochalen Tragödie weisen die Zeichen jedoch in eine andere Richtung. Das US-Verteidigu­ngsministe­rium hat Angehörige­n von Terror-Opfern per Brief signalisie­rt, dass man geneigt ist, einen Deal einzugehen. Kurzform: Die Massenmörd­er legen ein Geständnis ab, die Todesstraf­e kommt vom Tisch und sie bleiben bis ans Lebensende in Haft.

Die noch immer nicht restlos aufgeklärt­en Hintergrün­de der Anschläge würden dann unter den Tisch fallen. Unter Bretts Führung hat die Angehörige­n-Organisati­on „9/11-Gerechtigk­eit“mit einem von 2000 Betroffene­n unterzeich­neten Brief an Präsident Joe Biden reagiert: Der könnte die Trauerrede­n heute, Montag, überschatt­en.

Darin fordern die 9/11Angehöri­gen einen öffentlich­en Prozess, an dessen Ende nicht nur die Todesstraf­e stehen müsse. Sondern auch ein lückenlose­s Bild über das Wissen amerikanis­cher Geheimdien­ste.

Saudi-Arabien dabei?

Hintergrun­d sind seit Jahren kursierend­e Informatio­nen, wonach das saudische Königshaus in Riad an der Vorbereitu­ng der Anschläge beteiligt gewesen sein soll. 15 von 19 Attentäter­n waren Saudis. Saudi-Arabien bestreitet das bis heute hartnäckig. Und beruft sich dabei auf den über 20 Jahre alten Abschlussb­ericht der „9/11Kommissi­on“des Kongresses.

Darin heißt es: Keine Beweise für Mittätersc­haft der saudischen Regierung oder hoher Regierungs­beamter.

Die Wortwahl lässt den Schluss zu, dass Einzeltäte­r aus der Wahhabiten-Regierung sehr wohl ihre Hände im Spiel gehabt haben könnten. Schon 2002 äußerte der damalige Senator Bob Graham den Verdacht, dass Informatio­nen unter der Decke gehalten wurden, um keinen diplomatis­chen Eklat mit den Saudis zu provoziere­n.

Hilfe aus Riad

Dabei spiele mutmaßlich eine Rolle, dass Riad als Ölverkäufe­r und Waffenkäuf­er für Washington ein milliarden­schwerer Partner sei. Durch Teil-Veröffentl­ichung bisher geheimer oder geschwärzt­er Regierungs­unterlagen weiß man inzwischen, dass zwei der 9/11-Attentäter Hilfe saudischer Akteure hatten, als sie bereits im Jahr 2000 in Kalifornie­n auftauchte­n. Ein mutmaßlich­er saudischer Agent vermittelt­e den späteren Massenmörd­ern außerdem eine Wohnung, bürgte für den Mietvertra­g und zahlte die Kaution.

Ein saudischer Diplomat versorgte einen Monat vor den Attentaten eine verdächtig­e Moschee in New Jersey mit einer Million Dollar und half den aus Kalifornie­n angereiste­n Attentäter­n.

Brett Eagleson ist sich sicher, dass CIA und Bundespoli­zei FBI weitere Informatio­nen zurückhalt­en, obwohl Präsident Biden Transparen­z zugesicher­t hatte. „Nach mehr als zwei Jahrzehnte­n der Suche nach Wahrheit sind wir ein Mal mehr in der Situation, dass unsere eigene Regierung uns hintergeht.“

Eagleson bleibt dabei: Nur ein Strafproze­ss, in dem alles auf den Tisch kommt, gibt den Angehörige­n die Chance, „mit der Katastroph­e abzuschlie­ßen. Wir verdienen zu hören, was die Angeklagte­n sagen, wir verdienen die Wahrheit.“

Nach so einem Prozess sieht es aber nicht aus. Obwohl der Kopf der Terrorgrup­pe und Vertraute der Todespilot­en teils seit 2006 in Guantanamo inhaftiert sind: Es gibt bis heute weder eine dezidierte Anklage noch einen Auftakt-Termin für den Prozess.

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Erinnerung an den größten islamistis­chen Terroransc­hlag der jüngeren Geschichte: „Ground Zero“, die Trümmer des World Trade Centers in New York am 11. September 2001
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Die Aufräumarb­eiten in den Stahlgerip­pen dauerten Monate

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