KI weiß, was wir morgen kaufen werden
Auf Basis von Verkaufs-, Wetter- und Mobilfunkdaten erkennt eine Künstliche Intelligenz, wo bestimmte Lebensmittel eher verkauft werden. So will man sie vor dem Verderb retten
Der Berg an weggeworfenen Lebensmitteln, die eigentlich noch essbar sind, ist pro Jahr 88 Millionen Tonnen schwer. Und das alleine in der EU. Um diese enorme Verschwendung zu reduzieren, wurden bereits mehrere Initiativen ins Leben gerufen, sodass sich auch für nicht mehr ganz so frische Lebensmittel Abnehmer finden. Oft befinden sich gewisse Artikel aber schon kurz vor dem Verderb – die Rettung der Produkte kommt zu spät.
Um schon früher und stärker gegen die Lebensmittelverschwendung vorzugehen, entwickelt ein Forschungsteam im Rahmen des Projekts „Appetite“ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Prognose-Werkzeug. Ziel ist es, die Lebensmittelverschwendung um bis zu zehn Prozent zu reduzieren.
Kassa- und Wetterdaten
Konkret sollen Angebot und Nachfrage auf regionaler Ebene besser in Einklang gebracht und verhindert werden, dass sich große Mengen an Lebensmitteln zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. „Es sagt Supermärkten, wie viel sie von einem bestimmten Artikel für welchen Tag in welcher Filiale brauchen“, erklärt Nysret Musliu, Forscher an der TU Wien, dem KURIER. Zum Einsatz kommen Kassa- und Logistikdaten von Spar, Metro und Kastner aus Ostösterreich. Diese zeigen an, was in den jeweiligen Filialen verkauft wird.
„Die KI wird mit historischen Daten dieser Projektpartner gefüttert, die sie uns zur Verfügung stellen. Wir verwenden zusätzlich auch die Wetterdaten der jeweiligen Standorte und Einflussgebiete. So können wir herausfinden, welche Produkte je nach Wetterbedingung eher verkauft oder nicht verkauft werden, um unsere Vorhersagen zu verbessern“, ergänzt der Projektassistent Lukas Grasmann.
Große Menschenmassen
Zusätzlich werden anonymisierte Mobilfunkdaten verwendet. „So wissen wir, wo sich in welchen Einzugsgebieschlossen ten der jeweiligen Filialen potenzielle Kunden aufhalten. Damit können wir wiederum die Genauigkeit der Vorhersagen verbessern“, so Grasmann.
Erkennt die Handelskette rechtzeitig den Bedarf, kann sie Produkte dorthin umlagern, wo sie voraussichtlich gekauft werden. So kann schon im Vorfeld vermieden werden, dass sie an anderer Stelle übrig bleiben und es zu einer Verschwendung kommt. Lässt sich logistisch hingegen nicht mehr rechtzeitig eingreifen, weil etwa die Belieferung anderer Filialen für den Tag bereits abgezählen
ist, gewinnt man zumindest einen Informationsvorsprung. So können beispielsweise Organisationen, die Lebensmittel retten, schon im Vorfeld informiert werden und die Waren früher übergeben werden.
Obst, Gemüse, Milch
Welche dieser Daten letztlich wirklich die aussagekräftigsten sind, soll laut dem TUProjektleiter Musliu im Rahmen des Projekts abgeklärt werden. „Wir konzentrieren uns außerdem auch nur auf bestimmte Produkte. Dazu etwa Obst, Gemüse und Milchprodukte, die relativ kurze Ablaufdaten haben und schneller verschwendet werden“, so der Projektleiter.
Wie weit im Voraus die Vorhersage gut funktioniert, wird im Projekt ebenfalls behandelt. Prognosen nur für den nächsten Tag seien jedenfalls zu kurzfristig. „Zu weit vorgreifen ist aber auch nicht optimal“, so Grasmann. Generell seien Wochenvorhersagen möglich – danach würden sie eher schwammig.
Im Prinzip funktioniere die Prognose für die nächsten Tage laut Musliu besser, weil man Daten von den vorherigen Tagen zur Verfügung hat. Je länger das Tool in die Zukunft blickt, desto ungenauer ist es. „Wobei Daten, die weiter in der Zukunft liegen, auch großen Nutzen haben können. So könnte man etwa montags einen Einblick auf den nächsten Montag erhalten“, ergänzt Grasmann. Generell würden sich Verkäufe an Montagen von jenen an Freitagen unterscheiden.
Prototyp bis 2024
Am Ende des von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekts soll ein Prototyp einer kollaborativen Prognose-Plattform entstehen, die von Lebensmittelgeschäften genutzt werden kann. Die Daten sollen dabei fast in Echtzeit verarbeitet werden. „Der Prototyp soll dann potenzielle Verbesserungen von Abläufen in den Systemen bereitstellen. Ein mögliches Endprodukt, welches die Projektpartner dann direkt anwenden, müssten sie in ihr System einbetten. Wie sie es danach im Betrieb einsetzen, entscheiden sie selbst“, so Grasmann. Im Prinzip sei es auch möglich, das Werkzeug auf weitere Lebensmittelhandelsgeschäfte auszuweiten, wenn es gut funktioniert.
Bis kommenden März werden die Daten so verarbeitet, dass Vorhersagen simuliert und mit der Realität abglichen werden können. Ende 2024 sollte die Entwicklung eines Prototypen der TU Wien abgeschlossen sein.
Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG)