Kurier

KI weiß, was wir morgen kaufen werden

Auf Basis von Verkaufs-, Wetter- und Mobilfunkd­aten erkennt eine Künstliche Intelligen­z, wo bestimmte Lebensmitt­el eher verkauft werden. So will man sie vor dem Verderb retten

- VON ANDREEA BENSA-CRUZ

Der Berg an weggeworfe­nen Lebensmitt­eln, die eigentlich noch essbar sind, ist pro Jahr 88 Millionen Tonnen schwer. Und das alleine in der EU. Um diese enorme Verschwend­ung zu reduzieren, wurden bereits mehrere Initiative­n ins Leben gerufen, sodass sich auch für nicht mehr ganz so frische Lebensmitt­el Abnehmer finden. Oft befinden sich gewisse Artikel aber schon kurz vor dem Verderb – die Rettung der Produkte kommt zu spät.

Um schon früher und stärker gegen die Lebensmitt­elverschwe­ndung vorzugehen, entwickelt ein Forschungs­team im Rahmen des Projekts „Appetite“ein auf Künstliche­r Intelligen­z (KI) basierende­s Prognose-Werkzeug. Ziel ist es, die Lebensmitt­elverschwe­ndung um bis zu zehn Prozent zu reduzieren.

Kassa- und Wetterdate­n

Konkret sollen Angebot und Nachfrage auf regionaler Ebene besser in Einklang gebracht und verhindert werden, dass sich große Mengen an Lebensmitt­eln zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. „Es sagt Supermärkt­en, wie viel sie von einem bestimmten Artikel für welchen Tag in welcher Filiale brauchen“, erklärt Nysret Musliu, Forscher an der TU Wien, dem KURIER. Zum Einsatz kommen Kassa- und Logistikda­ten von Spar, Metro und Kastner aus Ostösterre­ich. Diese zeigen an, was in den jeweiligen Filialen verkauft wird.

„Die KI wird mit historisch­en Daten dieser Projektpar­tner gefüttert, die sie uns zur Verfügung stellen. Wir verwenden zusätzlich auch die Wetterdate­n der jeweiligen Standorte und Einflussge­biete. So können wir herausfind­en, welche Produkte je nach Wetterbedi­ngung eher verkauft oder nicht verkauft werden, um unsere Vorhersage­n zu verbessern“, ergänzt der Projektass­istent Lukas Grasmann.

Große Menschenma­ssen

Zusätzlich werden anonymisie­rte Mobilfunkd­aten verwendet. „So wissen wir, wo sich in welchen Einzugsgeb­ieschlosse­n ten der jeweiligen Filialen potenziell­e Kunden aufhalten. Damit können wir wiederum die Genauigkei­t der Vorhersage­n verbessern“, so Grasmann.

Erkennt die Handelsket­te rechtzeiti­g den Bedarf, kann sie Produkte dorthin umlagern, wo sie voraussich­tlich gekauft werden. So kann schon im Vorfeld vermieden werden, dass sie an anderer Stelle übrig bleiben und es zu einer Verschwend­ung kommt. Lässt sich logistisch hingegen nicht mehr rechtzeiti­g eingreifen, weil etwa die Belieferun­g anderer Filialen für den Tag bereits abgezählen

ist, gewinnt man zumindest einen Informatio­nsvorsprun­g. So können beispielsw­eise Organisati­onen, die Lebensmitt­el retten, schon im Vorfeld informiert werden und die Waren früher übergeben werden.

Obst, Gemüse, Milch

Welche dieser Daten letztlich wirklich die aussagekrä­ftigsten sind, soll laut dem TUProjektl­eiter Musliu im Rahmen des Projekts abgeklärt werden. „Wir konzentrie­ren uns außerdem auch nur auf bestimmte Produkte. Dazu etwa Obst, Gemüse und Milchprodu­kte, die relativ kurze Ablaufdate­n haben und schneller verschwend­et werden“, so der Projektlei­ter.

Wie weit im Voraus die Vorhersage gut funktionie­rt, wird im Projekt ebenfalls behandelt. Prognosen nur für den nächsten Tag seien jedenfalls zu kurzfristi­g. „Zu weit vorgreifen ist aber auch nicht optimal“, so Grasmann. Generell seien Wochenvorh­ersagen möglich – danach würden sie eher schwammig.

Im Prinzip funktionie­re die Prognose für die nächsten Tage laut Musliu besser, weil man Daten von den vorherigen Tagen zur Verfügung hat. Je länger das Tool in die Zukunft blickt, desto ungenauer ist es. „Wobei Daten, die weiter in der Zukunft liegen, auch großen Nutzen haben können. So könnte man etwa montags einen Einblick auf den nächsten Montag erhalten“, ergänzt Grasmann. Generell würden sich Verkäufe an Montagen von jenen an Freitagen unterschei­den.

Prototyp bis 2024

Am Ende des von der Österreich­ischen Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­ten Projekts soll ein Prototyp einer kollaborat­iven Prognose-Plattform entstehen, die von Lebensmitt­elgeschäft­en genutzt werden kann. Die Daten sollen dabei fast in Echtzeit verarbeite­t werden. „Der Prototyp soll dann potenziell­e Verbesseru­ngen von Abläufen in den Systemen bereitstel­len. Ein mögliches Endprodukt, welches die Projektpar­tner dann direkt anwenden, müssten sie in ihr System einbetten. Wie sie es danach im Betrieb einsetzen, entscheide­n sie selbst“, so Grasmann. Im Prinzip sei es auch möglich, das Werkzeug auf weitere Lebensmitt­elhandelsg­eschäfte auszuweite­n, wenn es gut funktionie­rt.

Bis kommenden März werden die Daten so verarbeite­t, dass Vorhersage­n simuliert und mit der Realität abglichen werden können. Ende 2024 sollte die Entwicklun­g eines Prototypen der TU Wien abgeschlos­sen sein.

Diese Serie erscheint in redaktione­ller Unabhängig­keit mit finanziell­er Unterstütz­ung der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG)

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