Der Tag, als ich Mick Jagger wurde
Da rollen sie also wieder, die Stones. Und ein Gesichts-Karst namens Mick Jagger rockt und röhrt wie in seinen besseren Tagen – immer noch. Vor 10, 15 Jahren fand ich dieses störNegieren rische des Alterns noch peinlich (auch wenn diese negative Sicht sicher dem wahren Kulturkampf der 60er geschuldet war, als die einzig existenzielle Frage hieß: Beatles oder Stones – wobei ich bis heute den Fab Four aus Liverpool die Treue halte).
Heute, auf meine alten Täg’, kann ich dem alten Herrn aber nur staunende Bewunderung entgegenbringen: Mit schlichten 80 betreibt er öffentlich an Hochleistungssport grenzende Gymnastik, hüpft und springt in hautenger Lederkluft herum und hat dabei noch genügend Atem über, um seine Songs zu grölen – und das volle zwei Stunden lang. Und ich, einige Jährchen jünger, keuche schon nach dem mühsamen Erklimmen zweier Stockwerke wie ein altes Schlachtross und muss dann erst minutenlang wieder um Fassung ringen, bevor ich einem Gegenüber Guten Tag wünschen kann. Hut ab, Sir Mick. Die bemerkenswerte Kondition des alten Herrn ringt schon Hochachtung ab (er hat halt auch großes Glück, weil er trotz jahrzehntelanger ungesunder Lebensweise keine körperliche Einschränkung zu kennen scheint). Dass wir Alten innerhalb der Grenzen, die uns die Gesundheit setzt, für unsere Körperkraft ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung tragen, ist schließlich eine bittere Wahrheit. Jaja, wer rastet, der rostet, lacht mir da der innere S. entgegen.
Jeder ist seiner schwindenden Muskel Schmied – also mühsam weitergeturnt. Fünf Minuten „jaggern“, das wär’ schon ein Erfolg! Aber auch die Unerschütterlichkeit, mit der uns das einstige Sexsymbol sein zerklüftetes Greisengesicht entgegenhält, ist beachtlich. Es ag schon stimmen, dass es Männer leichter haben, weil ihnen „erlaubt“ist zu altern, während Frauen es sich oft gerne selbst verbieten möchten – wovon die Milliarden-Industrie der leeren Anti-Aging-Versprechen gut lebt. Und doch war die ungleiche Verteilung von Schönheit immer schon eine Ungerechtigkeit der Natur, die dadurch ausgeglichen wird, dass das Alter an allen nagt.
Mick Jagger jedenfalls trägt sein Leben im Gesicht – all die Spuren, die die Jahre, die Freuden, die Leiden, das Glück und die Trauer hinterlassen haben. Da gehört eine große Portion Gleichmut dazu. Und das ist sicher auch für einen umjubelten Alt-Star nicht immer leicht, wenn er sich morgens in den Spiegel schaut.
Doch der steinalte Stone schleudert uns Alten noch etwas entgegen: Warum sollten mich meine Falten und meine Jahre daran hindern, all das weiterzumachen, was mein Leben ausmacht? Was Freude macht? Wofür ich „brenne“? Mit 80 sich nicht nur nicht aufgeben, sondern aus dem Vollen schöpfen, so gut es eben noch geht: Oja, so kann Altsein Freude machen. Also her mit dem Mick Jagger in mir! ***
(73) war Jahre innenpolitische des KURIER
Ruth Pauli
viele Kolumnistin