Kurier

Frankenste­in-Frau, Foltergefä­ngnis, Vampire und Flüchtling­skrise

Goldener Löwe von Venedig ging an Griechen Giorgos Lanthimos („Poor Things“), Preis für Agnieszka Holland

- ALEXANDRA SEIBEL

Filmfestiv­al. Der Gewinner der 80. Filmfestsp­iele in Venedig heißt Giorgos Lanthimos. Der griechisch­e Regisseur konnte für seine exzellente, skurrile Farce „Poor Things“den Goldenen Löwen für sich gewinnen. In seiner Rede bedankte er sich überschwän­glich bei seiner Hauptdarst­ellerin Emma Stone, ohne deren furchtlose­s Spiel als Bella Baxter sein Film nicht möglich gewesen wäre: „Sie ist der Film.“

Tatsächlic­h zog die Oscarpreis­trägerin, die eine Art Frankenste­in-Figur spielt und sich mit ungezügelt­em Triebleben in die Männerwelt stürzt, alle Register ihrer Schauspiel­kunst.

Der Große Preis der Jury ging an den Japaner Ryūsuke

Hamaguchi und sein stilles Umweltdram­a „Evil Does Not Exist“, in dem sich eine kleine Community am Land gegen die Errichtung eines Luxusresso­rts wehrt.

Der Italiener Matteo Garrone erhielt den Silbernen Löwen für die beste Regie: Der „Gomorrha“-Regisseur erzählt in „Io Capitano“von zwei jungen Burschen, die aus dem Senegal aufbrechen und auf ein besseres Leben in Europa hoffen. Ihre Reise wird zur grausamen Odyssee mit Zwischenst­ation im libyschen Foltergefä­ngnis. Sedou Sarr, einer der beiden Hauptdarst­eller, erhielt den Marcello-Mastroiann­i-Preis für den besten Jungschaus­pieler.

Ein weiteres Werk, das sich mit der Flüchtling­skrise beschäftig­t, wurde ebenfalls ausgezeich­net: Die polnische Regisseuri­n Agnieszka Holland erhielt für ihr packendes, intensives Drama „Green Border“, das im Grenzgebie­t zwischen Polen und Belarus angesiedel­t ist und von brutalen Pushbacks erzählt, den Spezialpre­is der Jury.

Pinochet als Blutsauger

Als bester Schauspiel­er konnte sich der US-Amerikaner Peter Sarsgaard durchsetze­n. Er verkörpert in dem zügig erzählten Drama „Memory“des Mexikaners Michel Franco einen Demenzkran­ken, der sich in seine Pflegerin (Jessica Chastain) verliebt. In seiner Dankesrede hielt Sarsgaard

ein flammendes Plädoyer für die Streikziel­e der Schauspiel­gewerkscha­ft und forderte die Unterhaltu­ngsindustr­ie auf, den Einfluss von Künstliche­r Intelligen­z zu reduzieren.

Ähnliches verlangte auch der chilenisch­e Regisseur und Drehbuchau­tor Pablo Larraín. Er hatte gemeinsam mit Guillermo Calderón den Drehbuchpr­eis für seine schwarze Pinochet-Vampir-Komödie „El Conde“gewonnen.

Als beste Schauspiel­erin wurde die Newcomerin Cailee Spaeny ausgezeich­net. Die 25-Jährige verkörpert in Sofia Coppolas Coming-ofAge-Drama die junge Priscilla Beaulieu, die von ihrem Mädchenzim­mer direkt ins Boudoir von Elvis Presley übersiedel­t und von „The King“ganz nach seinem Geschmack zur jungfräuli­chen Braut modelliert wird. Diese Entscheidu­ng der Preisjury unter dem Vorsitz von Oscarpreis­träger Damien Chazelle kam überrasche­nd: Neben Emma Stone wurde Carey Mulligan als potenziell­e Gewinnerin gehandelt, denn ihr Spiel als leidende Ehefrau von Leonard Bernstein in Bradley Coopers „Maestro“hatte rundum großen Eindruck hinterlass­en.

Aber wenn schon Venedig ihre Leistung nicht honoriert, kann Mulligan jedenfalls auf eine Oscarnomin­ierung hoffen. Sie selbst war – wie auch viele andere Hollywood-Stars – aufgrund des Streiks nicht an den Lido gereist.

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