Keine anderen Sorgen?
Politik und Medien befeuern zwei Fragen: Hält die Koalition bis zum Schluss? Und kommt Kurz zurück? Das ist armselig
Der Abstand zwischen zwei Nationalratswahlen, die Legislaturperiode, wurde 2007 auf fünf Jahre verlängert. Was dröge klingt, hatte einen guten Grund: mehr Zeit für politische Arbeit zu haben. Beziehungsweise umgekehrt nicht ein Viertel der Arbeitszeit einer Regierung zu vergeigen, weil im letzten Jahr schon (Vor-)Wahlkampf herrscht.
Geändert hat sich am vergeigten Viertel nichts. Im Herbst 2024 wird regulär gewählt, und seit Monaten beschäftigt sich die heimische Politik bzw. deren mediale Beobachtung nur mit zwei Fragen: Hält die schwarz-grüne Koalition bis zum Schluss? Und kommt Sebastian Kurz zurück?
Dabei gäb’s Arbeit genug: Fachkräftemangel da, wieder steigende Arbeitslosigkeit dort; ausständige Arbeitsmarktreform und fehlende gezielte Zuwanderung; Klimaschutzgesetz nicht in Sicht; ernsthafte Befassung mit der Herausforderung KI auch nicht (wie heißt der Staatssekretär für Digitales noch gleich?); und im Bildungsbereich wäre es gut, mit der Arbeit einmal zu beginnen.
Stattdessen wird versichert, man wolle eh arbeiten bis zum Schluss, aber fix sei nix. Wird spekuliert, ob das Beste aus zwei Welten hält, weil man eine Wahlschlappe nicht vorziehen wolle, oder ob man doch vor der noch absehbareren EU-Wahlschlappe zu den Urnen ruft. Wird agiert, als wäre morgen Wahl. Politik zum Wohle des Landes über Parteigrenzen hinweg? So lange kann keine Legislaturperiode sein.
Befeuert wird das vom medialen Boulevard, für den a) eh alle Politiker Gfraster sind, die der Regierung sowieso, und der b) ein nahezu orgiastisches Vergnügen an Schlagzeilen à la „Wie die ÖVP vor Kurz zittert“hat.
Es ist mehr als Fügung, dass just jetzt zwei Filme zum Thema um Aufmerksamkeit buhlen: ab kommender Woche eine KurzVernichtung („Projekt Ballhausplatz“) und die vergangene Woche aus dem Hut gezauberte Kurz-Hommage („Kurz – der Film“), die zur Premiere den Protagonisten und 700 Gäste anlockte – Motto: Man weiß ja nie …
Der Ex-Kanzler genießt’s sichtlich, sagt, dass er mit seiner Präsenz ja nur seinen Nachfolger stärkt (das Gegenteil ist wahr) und versichert in Interviews zum gefühlt 100. Mal, dass er nicht in die Politik zurück wolle – und was schreibt das interviewende Blatt? Weil er sein Nein nicht notariell beglaubigen lässt wie einst Helmut Zilk, lasse Kurz sich „eine Tür offen“!? (Stimmt schon: Auch Hans Peter Doskozil wollte nie SPÖ-Chef werden und wollte dann doch – samt nachfolgendem krachenden Scheitern).
Dass die ÖVP-Landeschefs bei der Kurz-Huldigung nicht dabei waren, wird auch gleich als politische Botschaft (gegen Kurz) gewertet, aber vielleicht haben die nur ausgedrückt, was der distanzierte Beobachter laut schreien möchte: Haben wir keine anderen Sorgen?