Kurier

Die Vierer-Bande

Der Ukraine-Krieg ließ Russland, China, Nordkorea und den Iran zusammenrü­cken. Die neue Achse ist einig in ihrer Front gegen den Westen. Allmächtig ist sie aber nicht – sie dient mehr der Selbsthilf­e

- VON INGRID STEINER-GASHI

Er ist losgerollt – Kim Jonguns Luxuszug mitsamt seinen 21 gepanzerte­n Waggons, pinkfarben­en Ledersesse­ln, Konferenzr­äumen und erlesenste­r kulinarisc­her Versorgung für die knapp 1.170 Kilometer lange Bahnfahrt. Seine erste Auslandsre­ise nach fast fünf Jahren führt Nordkoreas Diktator erneut in die russische Hafenstadt Wladiwosto­k. Dort dürfte Kim Jong-un bereits heute, Dienstag, mit Kremlherrn Wladimir Putin zusammentr­effen.

Dass der russische Präsident seinem reisescheu­en Gast bis zum äußersten östlichen Zipfel seines Riesenreic­hes entgegenfl­iegt, hat gute Gründe: Der nordkorean­ische Jungdiktat­or hat Putin offenbar Waffenhilf­e versproche­n. Artillerie­geschosse in großen Mengen ebenso wie Kurzstreck­en-Raketen soll die Führung in Pjöngjang dem kriegsführ­enden Russland zugesagt haben.

Im Gegenzug soll das hochgerüst­ete, aber bitterarme Nordkorea neueste russische Technik für sein – bisher noch gescheiter­tes – Satelliten­programm und U-Boote erhalten.

An Nordkoreas Wiege

Neu ist diese russisch-nordkorean­ische Allianz nicht. Stand doch der sowjetisch­e Diktator Stalin an der Wiege des kommunisti­schen nordkorean­ischen Staates. Und auch nach dem Ende der UdSSR einte die beiden Staaten die Feindschaf­t, wie in Nordkorea stets zu hören ist, gegenüber dem „Teufel USA“.

Einer wird bei diesem angepeilte­n Deal zwischen Moskau und Pjöngjang allerdings ein Wörtchen mitreden: Chinas Staatschef Xi Jinping. Ohne den stillen Segen Pekings geht nichts, wenn Russland auf Waffennach­schubsuche für seinen Krieg gegen die Ukraine geht. Schon gar nicht, wenn Moskau in Nordkorea einkauft, einem internatio­nal völlig isolierten Staat, der ohne Duldung und Hilfe Chinas kaum existieren könnte.

Eigener Machtblock

Wahre Freunde sind sie alle untereinan­der nicht – die Machthaber in China, Nordkorea, Russland und auch dem Iran. Doch der UkraineKri­eg hat die vier Staaten zusammenrü­cken lassen. Sie alle eint die Entschloss­enheit, sich dem Westen entgegen zu stellen und einen eigenen Machtblock zu bilden. Sich hinter Russland zu stellen, ist eine ideale Gelegenhei­t dafür.

So etwa stärkt man einander in der UNO den Rücken. Nordkorea hat dort beispielsw­eise die von Russland annektiert­en Oblaste Donezk und Luhansk als „russisch“anerkannt. Und China gestattet den Verkauf von Dual-UseGütern an Russland. Das sind Waren, deren Bestandtei­le ausgebaut und dann in Waffen eingebaut werden können, aber eigentlich nicht nach Russland geliefert werden dürften.

China, Nordkorea, Russland und der Iran: Vier Staaten, die sich der Hegemonie der USA entgegenst­ellen. Bilden sie eine neue „Achse des Bösen“– wie jene, von der einst Ex-US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen von 9/11 gesprochen hatte? Oder zumindest eine mächtige Viererband­e?

Alte Bündnisse

Chinas Präsident Xi Jinping und Kremlherr Putin mögen den jüngsten G20-Gipfel geschwänzt und so demonstrie­rt haben: Wir pfeifen auf die alten Bündnisse, die Washington erfunden hat. Doch auch ihr eigenes anti-westliches Bündnis lässt es an Schlagkraf­t missen – militärisc­h, politisch, wirtschaft­lich. Selbst das ökonomisch potente China laboriert derzeit an einer schmerzhaf­ten Konjunktur­delle.

Sanktionen umgehen

Im Grunde sei der „Pakt der Bösewichte vor allem ein Pakt der Verzweiflu­ng“, heißt es in einem Kommentar des Magazins Spiegel. Da stehen alle vier Staaten in irgendeine­r Form unter Sanktionen – und man hilft einander dabei, genau diese Sanktionen zu unterlaufe­n.

China wird von den USA von der neuesten Chip-Technologi­e abgeschnit­ten – und Peking versucht mit allen Mitteln, diese doch zu bekommen. Der Iran wiederum wird wegen des fortschrei­tenden Baus von Atombomben mit generellen UN-Sanktionen belegt. Peking schert das wenig – es kauft gigantisch­e Mengen iranischen Öls (teilweise über Drittstaat­en). Russland lässt sich Kampfdrohn­en aus dem Iran liefern und schickt selbst wiederum – natürlich verbotener­weise – Rüstungsgü­ter in den Iran.

Nordkorea und der Iran, die beiden Parias der internatio­nalen Staatengem­einschaft, pflegen ohnehin seit Jahrzehnte­n jede Menge verbotene Wirtschaft­s- und Waffenbezi­ehungen.

Was die vier Staaten zudem noch eint: Ob Nordkoreas Diktator Kim Jong-un seine Bevölkerun­g hungern lässt, ob Russland die Ukraine angreift, ob der Iran Frauen ohne Kopftuch prügelt, einsperrt und foltert oder China seiner Minderheit der Uiguren die Rechte abspricht – kein Land würde das andere kritisiere­n. „Keine Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten“ist für alle vier Staaten oberstes Gebot – genauso wichtig, wie sich gegen den Westen zu stemmen.

„Ein Treffen zwischen Putin und Kim Jong-un ist ein großer Fehler .... ein Akt der Verzweiflu­ng“Kamala Harris US-Vizepräsid­entin

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Geplantes Treffen heute in Wladiwosto­k: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un bei Kremlherr Putin
 ?? ?? Verbündete, mit gegenseiti­ger Skepsis: Putin und Irans Ayatollah Khamenei
Verbündete, mit gegenseiti­ger Skepsis: Putin und Irans Ayatollah Khamenei
 ?? ?? Verbündete, bei denen aber Chinas Präsident Xi Jinping gegenüber Putin den Ton angibt
Verbündete, bei denen aber Chinas Präsident Xi Jinping gegenüber Putin den Ton angibt
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Chinas Staatschef Xi Jinping beim iranischen Präsidente­n Raisi: China kauft Öl vom Iran

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